Für die kalte Jahreszeit, in der man nicht so viel im Garten unterwegs ist, findest du hier vergnüglichen Lesestoff.

Anagramm – Gedichte: Paar-Weisen

Anagramm - Gedichte: Paar-Weisen

Anagramm- Gedichte:

Anagramm-(V-)Erklärungen – 7 Buchstaben, zwei Wörter, eine Geschichte

Anagramm - Gedichte: Unter jedem Dach ein Ach – Die Familie

"Unter jedem Dach ein Ach" –
Die Familie

1.

   Wortgewandter Dreijähriger bestaunt den Brillantring der Großmutter

GREISIN

EISRING

 

2.

Letzte Versuche einer Mutter, ihren mittlerweile 30jährigen Sohn in die Geheimnisse der Kochkunst einzuweihen, der ihr aus Antriebslosigkeit oder Unfähigkeit immer noch vorzugsweise kalte Ravioli direkt aus der Dose kredenzt

ERZIEHT

ERHITZE

!

 

3.

Sprachliche Äußerung der Patentante im beginnenden siebten Lebensjahrzehnt, die auf erste Anzeichen von Altersbosheit hindeutet

SECHZIG

GEZISCH

 

4.

Unausweichliche Folge der wiederholten Weigerung, seiner betagten, kinderlosen Tante jeden Wunsch von den Lippen abzulesen

ERBETEN

ENTERBE

!

 

5.

Anweisung des strenggläubigen Vaters, der seine Kinderschar zunächst zu Tisch und dann zum Gebet beordert, das vor jeder Mahlzeit andächtig zu sprechen ist

TAFELN

FALTET

!

 

6.

Rat des katholischen Vaters an seine beiden Töchter, ihre Jungfräulichkeit sowohl mittels schlagfertiger Rhetorik als nötigenfalls auch mit roher Gewalt zu verteidigen

ABWEHRT

BEWAHRT

!

 

7.

Tätigkeit der reinlichen Hausfrau, die nach dem Einsatz der Handwerker in ihrem Hausflur umgehend akribisch alle Spuren der Reparaturarbeiten beseitigt

BOHRTEN

BOHNERT

 

8.

Stolze Aussage der frischgeschiedenen Mitvierzigerin, die nach 15 Jahren unglücklicher Ehe einen neuen Lebensweg beschreitet

GATTENS

ENTSAGT

!

 

9.

Ausdrücklicher Wunsch der Mutter, ihre unordentliche Tochter möge ob der am Boden ihres Kinderzimmers herumliegenden Gegenstände endlich einmal einen kleinen, aber immerhin nicht allzu schwerwiegenden Unfall erleiden

POLSTER

STOLPER

!

 

10.

Darstellung der Abfolge von Ereignissen, die zu einem handfesten Ehestreit führten, durch den wortkargen Ehemann, der zuvor auf ihre Aufforderung hin, dann aber nach Ansicht der Gattin nicht fachgerecht, das neue Küchenregal angebracht hatte

MONTIER

MONIERT

!

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Sheriff für einen Tag Teil 10 – Das letzte Kapitel

Sheriff für einen Tag Teil 10 – Das letzte Kapitel

Du hast die ersten Teile verpasst? Dann schau doch schnell in unser Schreibstübchen!

Schön, dass du wieder da bist und ich dir den Rest der Geschichte noch erzählen darf. Wenn ich sie dir nicht erzählen dürfte, dann würde sich bald niemand mehr daran erinnern. Daran, wie unglaublich gut die Brote von Bäcker Timm schmeckten oder daran, dass mein Vater gerne Doppelschnitten aß oder daran, wie du richtige Stöcker erkennen kannst. Und wo mein Baumhaus einmal war, könnte auch niemand mehr sagen. Das wäre fast so, als habe es all das nie gegeben, als sei es nie passiert. Und dabei ist es doch die Wahrheit und war damals wichtig.

Sheriff für einen Tag Teil 10

Fahren wir also mit der Geschichte fort, solange ich sie noch erzählen kann. Du hast ja sicher im Laufe der Zeit gemerkt, dass ich auch das ein oder andere nicht mehr so ganz genau weiß. Das liegt daran, dass das alles schon so lange her ist und ich viele Jahre nicht daran gedacht habe. Tatsächlich habe ich noch vorher noch nie jemandem von dem Tag erzählt, an dem ich damals Sheriff war. Und nur dadurch, dass ich dir nun davon erzähle, sind viele meiner Erinnerungen plötzlich wieder wach geworden.  Ohne das Erzählen wäre das vielleicht nie mehr geschehen. Um alte Geschichten vor dem Vergessenwerden zu bewahren, scheint mir das Erzählen doch eine wichtige Sache zu sein. Vergiss also nicht, auch deine Geschichten jemandem zu erzählen.

Nun soll es aber auch endlich losgehen, bevor mir wieder ganz andere Geschichten einfallen. Ich hatte mich ja gerade auf den Weg zur Straße gemacht, um mit meiner neuen Sheriffaufgabe „Freund und Helfer“ zu beginnen. Ich rannte also aus dem Garten nach vorn zur Bundestraße. Dort stand das grüne Ortsschild, auf dem in gelben Buchstaben „Ammerswurth“ stand. Das wusste ich genau, obwohl ich, wie du ja auch genau weißt, damals noch nicht lesen konnte.

Direkt an dem grünen Schild wollte ich erst einmal auf Menschen warten, die meine Hilfe benötigen würden. Mir schien das doch ein geeigneter Platz zu sein. So würde der Ammerswurther Dorfsheriff direkt am Ammerswurther Ortsschild zu finden sein. Jeder, der von Meldorf oder von Elpersbüttel aus durch Ammerswurth kommen würde, konnte mich dort gut sehen. Ich setzte mich also unter das Schild und stellte die blaue Tasche mit meiner Sheriffausrüstung neben mir ins Gras. Natürlich achtete ich darauf, dass mein Sheriffstern an meiner Sheriffhose gut zu sehen war und nicht etwa das T-Shirt ihn verdeckte. Ohne den silbernen Stern würde ja niemand erkennen, dass ich der Sheriff war. Schließlich war es doch mein erster Arbeitstag und die Menschen mussten mich ja erst noch kennenlernen.

Ich behielt die Bundesstraße genau im Blick und wartete darauf, dass der erste Autofahrer anhalten würde, um mich um meine Hilfe zu bitten. Radfahrer oder Fußgänger waren nämlich weit und breit nicht in Sicht. Dabei versuchte ich zu erraten, welchen Gegenstand von meiner Sheriffausrüstung ich wohl als erstes brauchen würde. Das Taschentuch vielleicht? Ja, das war gut möglich. Das Eukalyptusbonbon würde es wohl eher nicht sein, wenn mein erster Fall ein Autofahrer war. Alle Autos hatten ja schließlich ihre eigenen Handschuhfächer und in den meisten davon klebten sicher auch braune, scharfe oder irgendwelche anderen Bonbons. Da brauchten die Autofahrer meins nicht auch noch.

Irgendwann war ich in Gedanken alle Sachen aus meiner Tasche durchgegangen und hatte sie nach danach sortiert, wie nützlich sie für Autofahrer sein konnten. An die genaue Reihenfolge kann ich mich nicht mehr so ganz erinnern. Mein Bilderbuch war aber auf jeden Fall sehr nützlich, falls sich ein Kind hinten auf dem Rücksitz langweilte. Genauso das Geduldsspiel mit der Katze darauf. Nadel und Faden kamen auf einen der hinteren Plätze. Beim Autofahren verliert man ja wohl eher selten einen Knopf und während der Fahrt kannst du auch nicht gut nähen. Das ganze Überlegen dauerte schon eine Weile und es hatte noch kein einziges Auto angehalten. Kein Autofahrer kam auf die Idee, mich nach irgendetwas zu fragen, nicht einmal nach dem richtigen Weg nach Meldorf, nach Elpersbüttel oder zum Deich. Alle fuhren einfach vorbei.

 Auf dem Radfahrweg war auch niemand zu sehen. Wahrscheinlich machten die Radfahrer und Fußgänger alle gerade Mittagstunde wie meine Eltern. Wirklich eine langweilige Erfindung, diese Mittagstunde! Wer will schon bei so schönem Wetter drinnen im Bett liegen, obwohl er gar nicht krank ist? Ich zumindest nicht! Aber Langeweile bekam ich jetzt so langsam auch ein bisschen bei diesem Herumsitzen und Warten. Ich holte also mein kleines Buch heraus und guckte mir zweimal von vorne bis hinten an, wie Petzi einen Wal hütet. Danach kramte ich das Geduldsspiel heraus. Ich schaffte es dreimal, die beiden Kugeln in die Augen der Katze zu bekommen. Dann hatte ich keine Lust mehr dazu.

Hätte ich doch bloß ein paar mehr Bücher und Spielsachen mitgenommen, zum dumm! Ich nahm die große Nadel und das Garn aus der blauen Tasche und versuchte, das Ende des Fadens durch das Nadelöhr zu schieben. Das war ja auch so eine Art Geduldsspiel. Als ich gerade zum drittenmal das Garn angeleckt hatte, damit es sich besser einfädeln ließ, sah ich plötzlich aus Richtung Elpersbüttel ein Fahrrad herankommen. Na endlich! Ich ließ sofort Nadel und Faden in den Schoß fallen und setzte mich kerzengerade hin. Der Radfahrer war ein Mann in einem blauen Arbeitsanzug. Ich blickte ihm ermutigend entgegen. „Ich kann dir bestimmt weiterhelfen!“, dachte ich bei mir.

Als er näherkam, bemerkte er mich schließlich auch. Auf Höhe des Schildes angekommen, nickte er einmal und sagte: „Moin!“. Das war alles. Er fuhr einfach weiter, ob du es glaubst oder nicht.  Was für eine Riesenenttäuschung!  Mein kerzengerader Rücken sackte zusammen, als ich dem Mann nachblickte. Ich ließ die Hand, die ich schon an meiner Sherifftasche gehabt hatte, in den Schoß sinken und piekte mich dabei an der großen Nadel, die da ja auch noch lag. Aber nur ein bisschen, denn besonders spitz war sie zum Glück nicht. Dieses Sheriffsein war doch wirklich unfassbar schwierig! Dabei sah es in den alten Western im Fernsehen immer so einfach aus.

Etwas niedergeschlagen und ganz in Gedanken holte ich das Eukalyptusbonbon aus der Tasche und wickelte es vorsichtig aus. Es war ganz mit dem Bonbonpapier verklebt, so dass ich es mit den Zähnen abziehen musste. Aber es schmeckte schön scharf und irgendwie auch ein bisschen tröstlich. Während ich lutschte, versuchte ich mir einen neuen Plan auszudenken. Ich konnte ja schließlich nicht den ganzen Nachmittag langweilig und untätig hier im Gras unter dem Schild sitzenbleiben. Noch bevor ich das Bonbon aufgegessen hatte, war mir tatsächlich auch etwas eingefallen, das ich noch versuchen konnte, um meine Sheriffehre zu retten.

Und zwar war mir eingefallen, dass meine Mutter eines Abends draußen mal einen Jungen gefunden hatte, der sich verlaufen hatte. Die Geschichte war ein bisschen merkwürdig oder zumindest habe ich sie nicht ganz verstanden. Es war nämlich so, dass der Junge von zu Hause weglaufen wollte und sich dann im Dunkeln verlaufen hat. Die Frage, die sich mir damals gestellt hatte, war, wie du dich denn verlaufen kannst, wenn doch nur weglaufen willst. Er wollte zu gar keinem bestimmten Ort hin und dann kannst du ja eigentlich auch gar keinen falschen Weg nehmen. Aber so war es nun mal. Jedenfalls weinte er ganz schrecklich und meine Mutter brachte den Jungen ins Wohnzimmer, von wo aus er seine Mutter anrief. Dort weinte er weiter, bis sie schließlich kam und ihn abholte.

Das mit dem Weinen konnte ich schon verstehen. Als ich einmal von zu Hause weglaufen wollte, habe ich schon geweint,  als ich noch in meinem Kinderzimmer war. Ein bisschen geweint habe ich, weil ich wütend auf meine Eltern war. Warum ich das war, weiß ich beim besten Willen nicht mehr. Aber ich war auf jeden Fall wütend, sonst hätte ich ja nicht weglaufen wollen. Noch wütender wurde ich aber, als ich versuchte meine Sachen zu packen. Ich hatte mein Bett schon abgezogen und wollte das Bettlaken als erstes in meine Tasche stecken. Ich schaffte es auch, aber nur mit richtig feste drücken und quetschen und dann war die Tasche voll. Ich konnte doch nicht nur mit einem Bettlaken draußen schlafen. Und was war mit all meinen anderen wichtigen Sachen? Ich glaube, ich war noch wütender auf die zu kleine Tasche als auf meine Eltern. Und da habe ich dann richtig geweint und den Plan aufgegeben. Das Bett hat dann später meine Mutter für mich neu bezogen. Aber weglaufen wollen und weinen gehören wohl irgendwie zusammen. Jedenfalls war es bei den beiden Malen so, die ich miterlebt habe, bei dem Jungen und bei mir selbst.

Dass mir die Geschichte von dem Jungen wieder eingefallen war, war an dem Tag, an dem ich Sheriff war, aber nicht zum Weinen sondern ein richtiger Glücksfall. Es war doch eine gute Aufgabe, nach Menschen suchen, die sich verlaufen hatten und ihnen zu helfen, wieder nach Hause zu finden! Ein sehr guter Plan! Ich sprang sofort auf und schnappte mir meine  Sherifftasche, um augenblicklich mit der Suche zu beginnen und ich wusste auch schon wo.

Ein guter Platz, um dich zu verlaufen ist ein großes, hohes Weizenfeld, wie das in Ammerswurth hinter dem Graben mit meinem Kletterbaum. Wenn du noch nicht so groß bist, ist das Getreide fast so hoch wie du selbst, so dass du wirklich nicht weit gucken kannst. In so einem Meer aus hohen Ähren, die alle fast gleich aussehen, verirrst du dich ganz leicht. Aber falls sich in unserem Weizenfeld gerade jemand verirrt hatte, musste er keine Angst haben und brauchte auch nicht zu weinen, denn der Sheriff war ja bereits dahin unterwegs, um ihm sofort zu helfen.

Im Laufen fiel mir ein, dass ich ohne es zu ahnen, zwei Gegenstände eingepackt hatte, die genau für die Aufgabe, einen Verirrten zu finden, wirklich unglaublich nützlich waren. Die Trillerpfeife und das Taschentuch! Mit der Trillerpfeife konnte ich gut auf mich aufmerksam machen. Dann wüsste der Verirrte, dass Hilfe unterwegs war und konnte schon mal in die Richtung laufen, aus der das Pfeifen kam. Dann würde ich das große, blaue Taschentuch mit ausgetrecktem Arm über meinem Kopf schwenken, damit er mich in dem hohen Getreide ausmachen könnte.

Am Feld angekommen, holte ich also Pfeife und Taschentuch aus der Tasche. Ich steckte die Trillerpfeife zwischen meine Lippen,  zog sie aber sofort wieder heraus. Ach Mensch, ich hatte ja noch den Rest des Eukalyptusbonbons im Mund! Nun klebte die ganze Pfeife und das kleine Loch zum Hineinpusten war verstopft. So was Dummes! Ich zerkaute das Bonbon so schnell ich konnte und schluckte die letzten Krümel so schnell wie möglich herunter. Anschließend lutschte ich dann so lange an der Pfeife, bis sie nicht mehr klebte und das Loch wieder frei war. Ein kurzer Probepfiff. Ja, geschafft, die Trillerpfeife funktionierte tadellos.

Ich wanderte pfeifend in das Weizenfeld hinein und schwenkte dabei das Taschentuch so hoch über meinem Kopf wie ich nur konnte. Wer auch immer sich hier verlaufen hatte, musste mich von Weiten hören und mit ein bisschen Glück auch sehen. Ich hielt mich etwas am Rand des Feldes, von wo aus ich den Graben gerade noch sehen konnte. Es wäre ja ziemlich unpraktisch gewesen, hätte ich mich ausgerechnet auf der Suche nach verirrten Menschen noch selbst im Weizen verlaufen. Lieber auf Nummer Sicher gehen, dachte ich mir.

Die trockenen Weizenhalme raschelten, als ich mir meinen Weg durch das Feld bahnte. Die Ähren waren schon ganz groß und gelb. Wahrscheinlich würde bald Erntezeit sein. Oh, das waren immer tolle Tage Dann kamen Herr Huesmann und seine Leute mit ihren großen Mähdreschern. Das waren die größten Fahrzeuge, die ich kannte. Sie mähten und droschen von früh bis spät und ganz Ammerswurth duftete nach frischem Stroh und dem Korn, das in großen Hängern gesammelt und abtransportiert wurde.

Die Mähdrescherfahrer durften immer nur ganz kurze Pausen machen. Deshalb musstest du ihnen zum Frühstück, zum Mittag und zum Kaffee etwas zu essen direkt ans Feld bringen. Meine Mutter packte für jeden von ihnen ein paar Mal am Tag ein ganzes Körbchen voll leckerer Dinge. Doppelschnitten mit dem Brot von Bäcker Timm waren auch ganz oft dabei  und Kuchen und eine Kanne Kaffee. Gut, den mochte ich selbst natürlich nicht, aber die Mähdrescherfahrer fanden mit Sicherheit alles köstlich, was meine Mutter ihnen einpackte, denn sie ließen nie auch nur einen Krümel von irgendetwas übrig.

Manchmal durfte ich so ein Körbchen zu einem der Mähdrescherfahrer bringen, entweder zu Fuß oder mit meinem kleinen grünen Rad, wenn das Feld ein bisschen weiter weg war. Am Feld angekommen, musstest du das Körbchen dann abstellen und ganz doll winken, damit der Mann am Steuer dich bemerkte und wusste,  dass es endlich Essen gab und wo du es ihm hingestellt hattest. Nein, rufen hätte nichts genützt. So ein Mähdrescher ist wirklich laut, glaub mir. Und er macht auch jede Menge Staub, in seiner Nähe lässt du den Mund besser zu. Jedenfalls, Körbchen ausliefern tat ich gerne und freute mich schon darauf, als ich so durch den reifen Weizen marschierte.

Eine Sache gab es allerdings an der Erntezeit, auf die ich mich noch mehr freute und das waren die Abende. Wenn nämlich richtig gutes Wetter war, mähten die Mähdrescher bis spät in den Abend, manchmal in die Nacht. Dann machten sie vorne große Lampen an, um erkennen zu können, wo noch Getreide abzumähen war. Wenn sich so ein großer Mähdrescher mit einer hellen Lampe im Dunkeln durch ein Weizenfeld frisst, sieht das schon sehr beeindruckend aus. Aber manchmal machte Herr Huesmann es noch sogar beeindruckender.

Dann schickte er spät am Abend alle seine Mähdrescher zusammen auf das letzte Feld, das noch nicht fertig abgedroschen war. Das hättest du sehen sollen! Dicht nebeneinander zogen die riesigen Maschinen mit ihren großen Lampen ihre Bahnen und ließen das ganze Feld goldgelb leuchten, als läge es in hellem Sonnenschein, obwohl es rundherum stockdunkel war. Das Tollste kam aber zum Schluss. Wenn alle Ähren abgeerntet waren und auf dem Feld nur das liegengebliebene Stroh und die Stoppeln übrig waren, machten sich alle Mähdrescher auf den Weg zu unserem Hof. In einer Schlange hintereinander fuhren sie die Straße entlang. Vor Freude, dass die Ernte geschafft war, entzündeten sie orangeleuchtende Blinklichter auf ihren Dächern. Das sah aus wie ein Freudenfeuerwerk auf der Straße vor unserem Haus.

Ich stand dann am Fenster und freute mich über das Schauspiel in der Ammerswurther Nacht und natürlich darüber, dass ich ausnahmsweise so lange aufbleiben durfte. Erntetage waren immer für alle so aufregend, dass niemand daran dachte, mich ins Bett zu schicken. Mein Vater,  so glaube ich zumindest, freute sich auch immer über die blinkende Mähdrescherkolonne. Während er die Stunden vor dem Blinklichtfeuerwerk immer besorgt ausgesehen hatte und den Himmel nach Regenwolken abgesucht oder nach einem fernen Donnergrollen gehorcht hatte, sah er auch immer ganz glücklich und erleichtert aus, wenn Herr Huesmanns Mähdrescher blinkend und tösend auf den Hof gefahren kamen.

Meine Mutter konnte das leider nie mit uns zusammen genießen. An diesen besonders tollen Tagen musste sie nämlich bis in die Nacht in der Küche stehen. Die ganzen Mähdrescherfahrer waren immer schon wieder ganz hungrig, wenn sie schließlich mit dem Dreschen fertig waren, trotz der ganzen Körbchen, die wir ihnen über den Tag gebracht hatten. Mähdrescherfahren muss wirklich sehr anstrengend sein, mindestens so anstrengend wie Sheriffsein, denke ich. Deshalb  machte meine Mutter immer große Pfannen voller Bratkartoffeln und Spiegeleier. Da du ja nie genau wusstest, wann sie denn kommen würden, musste sie das Essen den ganzen Abend lang warm halten und aufpassen, dass nichts anbrannte. Aber irgendwann war es dann endlich soweit und all die hungrigen und staubigen Mähdrescherfahrer saßen in unserer Küche um die Bratpfannen herum, bis alles aufgegessen war. Dann fuhren sie mit ihren großen Mähdreschern blinkend durch die Nacht nach Hause. Was sie wohl bis zur Ernte im nächsten Jahr machten? Vielleicht hatten sie immer sehr lange Ferien.

Darüber und über vieles mehr dachte ich nach, während ich weiter mit dem Taschentuch winkte und auf meiner Pfeife pfiff. Ab und zu hielt ich inne und horchte angestrengt, ob von irgendwoher aus der Mitte des Feldes Hilferufe zu hören waren. Nichts! Alles, was ich hörte war das Blöken der Schafe im Apfelgarten und an und zu eine Kuh, die in der Ferne muhte. Inzwischen hatte ich schon das halbe Feld umrundet und es hatte sich noch kein einziger Verirrter gezeigt. Trotzdem setzte ich meinen Weg pfeifend und winkend fort, bis ich wieder an der Feldeinfahrt gegenüber von unserem Hof angekommen  war. Einmal ganz um das Feld herum war ich gelaufen.

Das war ein ziemlich weiter Weg gewesen, denn das Feld war wirklich groß und durch ein Kornfeld zu laufen ist auch viel anstrengender als zum Beispiel einen Weg entlangzugehen oder auf frisch gemähtem Rasen zu rennen. Ich war ganz schön erledigt und vom vielen Pfeifen und Winken auch etwas außer Atem. Natürlich war ich auch ein bisschen enttäuscht, dass ich wieder niemanden gefunden hatte, dem ich helfen konnte, aber ich meine mich zu erinnern, dass ich doch hauptsächlich ziemlich erschöpft war.

Also beschloss ich, mir nun einen Platz zu suchen, an dem ich mich ungestört ein bisschen ausruhen und die Lage trotzdem im Blick behalten konnte. Klar, mein Baumhaus wäre auch ein guter Ort dafür gewesen, da hast du Recht, aber in dem Moment hatte ich ein anderes Plätzchen im Sinn. Vor dem Hof von unserem Nachbarn Onkel Otto, der natürlich auch wieder nur so hieß, aber gar nicht mein Onkel war, gab es eine ganz dichte Weißdornhecke. Sie lief parallel zu der Teerstraße mit den pieksigen Steinen. Das Tolle an der Hecke war, dass es hinter ihr einen Geheimgang gab. Du konntest durch ein kleines Loch hinter die Hecke gelangen und dann ein ganzes Stück direkt neben der Straße weitergehen, ohne dass dich jemand sah. Am anderen Ende der Hecke gab es noch eine Öffnung, durch die du wieder auf den Weg zurückkamst.

Das war doch der perfekte Ort für eine kleine Pause. Ich konnte mich dort ein bisschen hinsetzen und durch das Loch auf die Straße spähen. So könnte ich schnell eingreifen, falls doch noch jemand den Sheriff brauchen würde, aber niemand würde bemerken, dass ichwährend der Arbeit gerade so was wie eine Mittagstunde machte. Ich lief also schnell über unseren Hof und durch den Obstgarten der Nachbarn bis zu der Weißdornhecke. Dort setzte ich mich im Schneidersitz auf den Boden. Gras wuchs dort zwar nicht, sondern es gab nur blanke Erde, dafür war es aber schön schattig und kühl. Das war doch recht angenehm, nach der anstrengenden Feldumrundung in der prallen Nachmittagssonne. Auf der Straße war niemand zu sehen. Also nahm ich nochmal „Petzi hütet einen Wal“ aus meiner Tasche und begann darin zu blättern. Das war ein bisschen langweilig, schließlich hatte ich mir die Geschichte an diesem Tag ja schon drei Mal angeguckt. Also packte ich es wieder ein und saß einfach nur so da, während ich ausruhte und auf Menschen wartete, die einen Freund und Helfer benötigten. Darüber muss ich wohl ganz kurz eingenickt sein.

Auf einmal schreckte ich auf. Ein lautes metallisches Klappern und Rasseln näherte sich. Das Geräusch an sich war es aber nicht, was mich erschreckte, denn es war mir wohl vertraut. Nein, ich erschrak, weil mir dieses Geklapper und Gerassel sagte: Sünje, du hast mal wieder komplett die Zeit vergessen und bist zu spät zum Abendessen dran. „Hoffentlich gibt das keinen Ärger.“, dachte ich etwas beunruhigt. Schon nach sechs, au backe.

Woher ich das wusste, fragst du? Na, ganz klar. Jeden Abend um sechs wurde alle Ammerswurther Kühe gemolken. Jeder Bauer füllte seine Milch in große silberne Metallkannen und brachte sie mit einem Handkarren an die Teerstraße, die rund um Ammerswurth führte. Dieses Klappern, das ich gehört hatte, war die Karre von Onkel Otto mit seinen Kannen. Also war er mit dem Melken schon fertig und es musste demnach schon ein ganzes Stück nach sechs Uhr abends sein. Um das zu wissen, brauchtest du keine Armbanduhr, denn bei allen Bauern wurde jeden Morgen und jeden Abend ganz pünktlich um sechs Uhr gemolken, egal, ob es ein normaler Arbeitstag, Sonntag oder ein Ferientag war. Darauf konnten sich die Kühe und auch du verlassen.

Tatsächlich kam Onkel Otto bereits in seinen blauen Arbeitssachen seine Hofeinfahrt herunter und begann die vollen Kannen von seiner Karre zu laden. Auf einmal jedoch hielt er inne und blickte direkt in meine Richtung. Ich weiß nicht, ob ich vielleicht ein Geräusch gemacht habe oder ob er einfach so eine Ahnung hatte, dass sich dort jemand hinter seiner Hecke versteckt hielt. Jedenfalls entdeckte er mich in dem Weißdorn und fragte grinsend: „Wat sit du doa achter de Heck, Sünje?“ Natürlich fragte er das auf Plattdeutsch und sprach dabei meinen Namen mehr aus wie „Sündsche“. So nannten mich damals alle Nachbarn. Onkel Otto wollte also gerne wissen, was ich da hinter seiner Hecke zu tun hatte.

Selbstverständlich verstand ich seine Frage und ich es hätte es ihm auch wirklich nur zu gern ausführlich erläutert, aber ich hatte nun wirklich keine Zeit mehr für Erklärungen. In dem Moment kam nämlich schon der Milchwagen von der Meierei aus Meldorf um die Ecke gebogen, um die vollen Kannen aus Ammerswurth abzuholen. Schließlich brauchten die Menschen in Meldorf ja auch frische Milch und dort gab es nicht eine einzige Kuh. Das wiederum bedeutete, dass es schon halb sieben war. Ich musste wirklich ganz dringend nach Hause. „Tschüß, Onkel Otto!“, rief ich und rannte los.

Es ging erst einmal schnell aber vorsichtig über die Teerstraße, dann über den schmalen, stinkigen Jaucherinnsal, der aus dem Kuhstall von Onkel Werner und Tante Marga in den Graben floss, dann quer durch den Obstgarten von Onkel Otto und Tante Marianne, über den Knick auf unseren Hof, vorbei an dem alten Pumpsklo, in dem ich die Banditen hatte einsperren wollen, rund um unser Haus bis nach vorne in den Garten. Schon am Plumpsklo hörte ich meine Mutter nach mir rufen: „Sünje! Süüüünje! Abendbrot!“

Ziemlich aus der Puste kam ich an der Haustür an, wo meine Mutter stand und nach mir Ausschau hielt. „Da bist du ja endlich.“, sagte sie als ich sie erreicht hatte, „Wir warten schon mit dem Essen auf dich.“ Zum Glück klang sie nicht böse und Essen klang richtig gut. Ich merkte erst in dem Moment, dass ich wirklich hungrig war. Schließlich hatte ich ja auch seit dem Mittag nichts mehr gegessen, mal abgesehen von dem klebrigen Eukalyptusbonbon. Eine Scheibe von Bäcker Timms leckeren Brot und ein frisches Glas Milch von Onkel Werners Kühen, das war jetzt genau das Richtige!

Ich wandte mich zur Tür, um in Haus zu gehen. „Halt Stopp!“ rief meine Mutter, mich von oben bis unten musternd, „Erstmal Füße waschen!“ Okay, also wie jeden Abend im Sommer, wenn ich den ganzen Tag barfuß herumgelaufen war. Ich ließ mich ins Gras fallen, während meine Mutter im Haus verschwand, um kurz darauf mit einer dampfenden Schüssel Seifenwasser und einem Handtuch wieder herauszukommen. Sie stellte die Schüssel vor mir ins Gras und ich tauchte meine, zugegeben doch ziemlich schmutzigen, Füße in das warme Wasser. Richtig schön viel Schaum war darauf! Schaum mochte ich gern, übrigens auch in der Badewanne, in der ich jeden Sonntagabend baden durfte.

Nach diesem anstrengenden Tag tat es richtig gut, einfach ein noch ein bisschen dazusitzen und den warmen Sommerabend zu genießen. Ich plantschte mit den Füßen in dem herrlich warmen Wasser. Ich konnte mir ruhig ein bisschen Zeit lassen. So schmutzige Füße müssen schließlich erst einmal ordentlich einweichen, bevor du sie überhaupt wieder sauber bekommst. Irgendwo über mir in einem der Bäume gurrte eine Taube. In dem Moment verstand ich meinen Vater zum ersten Mal, der manchmal, wenn er abends nach Hause kam, schwer seufzte und dann sehr müde sagte: „Feierabend.“ Das klang immer ganz zufrieden, obwohl er sehr müde war, und auch ein bisschen erleichtert. Nun hatte ich also auch mal Feierabend. Und ich muss sagen, ich fand das richtig schön, nach Hause zu kommen und Feierabend zu haben!

Aber als ich nochmal so richtig über meinen ersten Arbeitstag als Sheriff nachdachte, merkte ich, dass es mir doch nicht ganz so ging wie meinem Vater. Müde war ich genau wie er und auch ein bisschen erleichtert und hungrig obendrein. Aber zufrieden? Nein, ganz zufrieden war ich irgendwie nicht. Ich hatte von dem Banditen den Sheriffstern bekommen und war so zum Sheriff geworden. Ich hatte ziemlich gute Sheriffsachen zum Anziehen und eine tolle Pistole gefunden, aber trotz aller Mühen und Anstrengungen hatte ich keinen einzigen Banditen fangen können und dann auch noch meine Pistole verloren. Meine Hilfe hatte auch niemand gebraucht. Keiner hatte etwas von nützlichen Dingen in meiner Sherifftasche wissen wollen und niemand hatte sich im Weizenfeld verirrt, um von mir gerettet zu werden.

Wenn ich es nüchtern betrachtete, war das Ganze doch ein ziemlicher Misserfolg geworden. In Ammerswurth gab es einfach zu wenige Banditen und alle Menschen, die hier wohnten, schienen ziemlich gut ohne einen Dorfsheriff zurechtzukommen. Das Gefährlichste weit und breit war die Ponybande und gegen die kam ich auch als Sheriff nicht an, das war klar. Kurz gesagt, wirklich absolut niemand brauchte mich hier als Sheriff! Nein, keine Sorge, bei dieser Erkenntnis fühlte ich mich ausnahmsweise einmal nicht peinlich. Es hatte ja nicht an mir gelegen, ich hatte doch alles versucht. Es war einfach so, dass Ammerswurth nun mal der falsche Ort für diesen Beruf war. Im wilden Westen hätte ich Erfolg gehabt, da war ich mir absolut sicher.

Aber so, wie die Dinge nun einmal lagen, machte es keinen Sinn weiter Sheriff zu bleiben. Du würdest wahrscheinlich ja auch nicht dort Bäcker sein wollen,  wo niemand Brot mag oder Süßigkeiten anbieten, wenn nie jemand mit einem Fünfzigpfennigstück zum Tauschen vorbeikommt. Und nur wegen eines Berufes umziehen, wollte ich schließlich auch noch nicht. Also beschloss ich, das Sheriffsein aufzugeben. Ammerswurth hatte nun für einen ganzen, langen Tag einen Sheriff gehabt und niemand, so fürchte ich, hatte es überhaupt gemerkt, wie schwer ich an diesem Tag gearbeitet hatte.  Auch wenn es ein bisschen schade war, das musste nun reichen!  Bis ich zur Schule kommen würde, würde ich jetzt erst einmal nur Kindergartenkind ohne einen zweiten Beruf bleiben. Damit hast du schließlich schon genug zu tun. Denk zum Beispiel nur ans Liederlernen und einhändig Radfahren Üben.  Das ist anstrengend genug.

Eine allerletzte Sache wollte ich jedoch noch als Sheriff erledigen. Im Laufe des Tages hatte ich ja wohl alle Sachen aus meiner Sheriffausrüstung gebraucht, bis auf zwei – den grünen Kamm und den Spiegel mit dem gelben Griff. Das ging so nicht, schließlich wollte ich die ganze Sache doch wenigstens noch zu einem angemessenen, richtigen und kompletten Abschluss bringen. Außerdem kann es ja nicht schaden, sich nach einem ganzen Tag, an dem du draußen in der Sommerhitze herumgerannt und durch Weizenfelder marschiert bist, mal ein bisschen die Haare zu kämmen. Ich wusch mir also schnell meine Hände neben meinen Füßen im Seifenwasser, trocknete sie ab und holte Kamm und Spiegel aus meiner Sherifftasche, die ab morgen wieder nur die ganz normale blaue, stinkige Tasche sein würde.

Ich kämmte meine Haare. Allerdings nur ein bisschen, denn sie waren tatsächlich ziemlich verstrubbelt und das Kämmen ziepte einfach zu sehr. Der gute Wille musste reichen. Dann betrachtete ich mich in dem kleinen Spiegel. Allzu viel konntest du darin nicht erkennen. Zum einen war er eben wirklich klein, so dass dein ganzes Gesicht überhaupt nicht darauf passte, und zum anderen war das Spiegelbild auch nicht so scharf, wie zum Beispiel das von dem Spiegel in unserem Badezimmer. Ein bisschen was konnte ich aber immerhin doch sehen.

Ich war ein Mädchen. Ziemlich braungebrannt mit etwas verstrubbelten dunkelblonden Haaren. Ein bisschen sah ich noch aus wie ein Kindergartenkind, aber wie eins von den großen aus der Spatzengruppe, die bald in die Schule kommen, nicht wie eins von den kleinen aus der Häschengruppe. Ich war sicher, dass ich an diesem langen, anstrengenden Tag als Sheriff ein bisschen älter geworden war und das machte mich sehr zufrieden. Einen richtigen Beruf zu haben, half dir offenbar schneller älter zu werden, wenn er nur anstrengend genug war.  Ja tatsächlich, damals habe ich mich darüber noch sehr gefreut, älter zu werden. Heute ist das bei mir irgendwie nicht mehr ganz so wie früher, scheint mir. Nun denn. Jedenfalls steckte ich Kamm und Spiegel zurück in die Tasche – nun war alles erledigt, was ich jetzt an meinem letzten Arbeitstag als Sheriff noch hatte tun können.

Eines nahm ich mir in diesem Moment aber noch ganz fest vor: Für später in meinem Leben wollte ich mir einen Beruf aussuchen, der nicht so anstrengend und schwierig war. Tierärztin vielleicht oder Lehrerin. Ja, Lehrerin war doch eine tolle Idee. Als Lehrerin kannst du jeden Tag Schule spielen und das auch noch in einem echten Klassenzimmer mit einer richtig großen Tafel zum Malen! Und, ob du es glaubst oder nicht, Lehrerin bin ich dann viele, viele Jahre später tatsächlich mal geworden und das nicht nur für einen Tag. Damit war es dann aber auch so eine Sache, ein bisschen so wie mit dem Tag, an dem ich Sheriff war. Ich hatte es mir auch einfacher und irgendwie anders vorgestellt. Auf jeden Fall war es ganz, ganz anders als Schule zu spielen. Aber das ist natürlich schon eine neue Geschichte, die ich dir vielleicht irgendwann auch einmal erzählen kann.

Die Geschichte von dem Tag, an dem ich Sheriff war, endet nun hier im Garten, wo ich mir schließlich die Füße abtrocknete und dann über den kalten Terrazzoboden in die Küche tapste. Alle saßen schon am gedeckten Abendbrottisch und warteten auf mich. „Na, was hast du heute Schönes gemacht?“, fragte meine Mutter. „Och, nichts Besonderes.“, antwortete ich und merkte dabei, dass ich wirklich ganz schön müde war. Ich freute mich schon auf mein gemütliches Bett und die Gute-Nacht-Geschichte, die meine Mutter mir bestimmt vorlesen würde. Vielleicht würde sie mir ja auch noch eines ihrer schönen Lieder vorsingen.

Und morgen, ja, morgen würde ich einfach meinen freien Tag genießen. Nach all den Strapazen endlich mal ein freier Tag, ohne Verpflichtungen, Blamagen, Gefahren und vor allem Langeweile. Ich könnte mir eine Höhle bauen oder versuchen, die Schafe im Apfelgarten zu zähmen oder den ganzen Tag so tun, als ob ich ein Hund wäre oder mit meinem kleinen grünen Fahrrad zu Frau Timm fahren und mit ihr über Süßigkeiten verhandeln. Möglichkeiten über Möglichkeiten, ein ganzer, langer Tag voller Möglichkeiten. Das Leben ist doch zu schön!

Meine Pistole blieb übrigens für immer verschwunden, aber den silbernen Sheriffstern trug ich weiter an meiner Sheriffhose. So lange, bis ich so groß geworden war, dass sie mir nicht mehr passte und Sheriffhose und Sheriffstern irgendwann gemeinsam verschwanden. Ich habe beide nie wiedergesehen. Aber vielleicht hat ja noch ein anderes Kind große Abenteuer damit erlebt. Wer weiß?

WeiterlesenSheriff für einen Tag Teil 10 – Das letzte Kapitel

Sheriff für einen Tag Teil 9 – Freund und Helfer

Sheriff für einen Tag Teil 9 – Freund und Helfer

Du hast die ersten Teile verpasst? Dann schau doch schnell in unser Schreibstübchen!

Geschichte, Sheriff für einen Tag Teil 9

Nun soll es also mit der Geschichte weitergehen, wie ich damals Sheriff war für einen Tag, irgendwann in den 70er Jahren, an einem warmen Sommertag in Ammerswurth. Und während ich dir erzähle, wie das alles damals war, fällt mir eine Sache auf: Damals waren die Tage so viel länger als sie es heute sind. Acht Tage habe ich nun schon von diesem einen Tag erzählt, das ist mehr als eine ganze Woche, und doch bin ich gerade erst beim Mittagessen angekommen. Erstaunlich, wie viele Abenteuer du damals an einem einzigen Tag erleben konntest, und trotzdem blieb dir noch genug Zeit, auch mal still dazusitzen, in die Welt zu schauen und gründlich nachzudenken.

So lang sind die Tage heute nicht mehr, zumindest nicht bei mir. Wenn du noch solche langen Tage erlebst, in die so viele Abenteuer, Erlebnisse und Pausen hineinpassen, solltest du sie so richtig genießen. Nur für den Fall, dass deine Tage später auch mal so kurz werden wie meine. In die passt manchmal fast gar nichts mehr hinein, fast so, als wäre es kurz nach dem Aufstehen schon wieder Zeit zum Schlafengehen. Mit so kurzen Tagen verpasst du wirklich viele schöne Sachen und das ist wirklich schade.

Aber zurück zu der Geschichte. Wir waren ja gerade an einer Stelle, an der ich mich mal so richtig beeilen musste. Ich wollte mich doch am Nachmittag als Freund und Helfer betätigen und versuchen, auf diese Weise doch noch ein guter, erfolgreicher Sheriff zu werden. Und für die gesamten, notwendigen Vorbereitungen blieb mir nur die kurze Zeit, in der meine Mutter vor der Mittagstunde die Küche aufräumte, was ja, wie ich schon sagte, immer sehr schnell ging. Danach würden meine Eltern sich zum Schlafen hinlegen und ich sollte solange draußen spielen, damit sie nicht gestört wurden.

Also machte ich mich, den letzten Bissen fast noch im Mund, an die Arbeit. Ich half überhaupt nicht beim Abwaschen und Abtrocknen. Wenn ich es recht bedenke, war das eigentlich gar nicht so nett von mir. Als angehender Freund und Helfer wäre das doch die Gelegenheit für eine erste gute Tat gewesen. Aber auf die Idee bin ich damals wohl gar nicht gekommen.

Ich rannte also aus der Küche, den langen Flur entlang, die Treppe hinauf, den oberen Flur entlang und erreichte schließlich mein Zimmer. Dort suchte ich zunächst nach einer passenden Tasche für meine Sheriff-Ausrüstung. Die Sheriffs in den alten Western haben natürlich immer große Satteltaschen aus Leder für die wichtigen Dinge, die sie täglich dabei haben müssen. Die Satteltasche trägt dann ihr Pferd für sie. Nun hatte ich leider weder ein Pferd noch eine Satteltasche. Ich würde meine Ausrüstung wohl oder übel selber tragen müssen.

Mir blieb die Wahl zwischen drei verschiedenen Taschen. Da war zunächst mal meine Kindergartentasche. Als ich sie an ihrem Haken neben der Tür hängen sah, war mir sofort klar, dass sie als Sherifftasche nicht zu gebrauchen war. Sie war einfach viel zu klein. Mehr als ein in Papier gewickeltes Brot und vielleicht noch ein Apfel passten nicht hinein. Da brauchte ich schon etwas deutlich größeres.

Auf unserem Dachboden stand so eine richtig große Tasche. Das war die Reisetasche meiner Mutter. Soweit ich mich erinnern konnte, war sie noch nie verreist, aber sie hatte trotzdem eine. Diese Tasche hatte zwei Griffe zum Tragen, war braun und so groß, dass ich fast bequem darin sitzen konnte.  Sicher hätte ich in dieser Tasche eine Menge nützlicher Dinge verstauen können, aber wie sollte ich dieses Ungetüm den ganzen Nachmittag mit mir herumschleppen? Selbst wenn sie leer war, musste ich sie eher hinter mir herziehen als dass ich sie tragen konnte. Und das, obwohl ich ziemlich stark war. Nein, Mamas Reisetasche war auch nicht das richtige.

Also blieb nur noch eine andere Tasche übrig, die ich für meine Sheriff-Ausrüstung verwenden konnte. Bei dieser Erkenntnis seufzte ich kurz. Das war die blaue Umhängetasche! Was es da zu seufzen gab? Naja, die blaue Tasche mochte ich nicht besonders. Ich hatte sie irgendwann einmal von jemandem geschenkt bekommen, der sie wohl auch nicht so besonders gern mochte. Sie war blau und rechteckig und sah ein bisschen aus wie ein kleiner Koffer. Oben hatte sie einen breiten Gurt, mit dem du sie dir über die Schulter hängen konntest. Zugegeben, das war ja eigentlich recht praktisch.

Aber leider hatte sie einen anderen, entscheidenden Nachteil: innen drin roch sie wirklich komisch. So ein bisschen wie die dunkle Kammer unter unserer Treppe, in der meine Mutter Putzlappen und Besen aufbewahrte, nur noch ein bisschen schlimmer. Merkwürdig süßlich, alt und staubig würde ich sagen, so, als hätte vor langer, langer Zeit jemand  einen Apfel darin vergessen, der dann irgendwann vergammelt und zu Staub zerfallen war. Ja, die blaue Tasche! Das half nun alles nichts, eine andere hatte ich nun mal nicht und ein bisschen Gestank musste ein gestandener Sheriff wohl auch aushalten können, um nicht als Feigling dazustehen.

Ich holte also die blaue Tasche aus ihrer Ecke hervor und begann in Windeseile alles hineinzustecken, was mir bei meiner neuen Aufgabe, anderen Menschen zu helfen, nützlich erschien. Lass mich kurz überlegen, was das alles genau war. Ich bin grad etwas abgelenkt, weil ich immer noch den Geruch aus dem Inneren der Tasche in der Nase habe. So, als stünde sie direkt wieder vor mir, obwohl ich sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen und gerochen habe. Manche Erinnerungen bräuchten meinetwegen nach so langer Zeit nicht mehr ganz so lebendig zu sein, jedenfalls nicht ausgerechnet die unangenehmen.

Ob ich nun noch wirklich alle Gegenstände zusammenbekomme, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, aber an ein paar Sachen erinnere ich mich deutlich. Zunächst einmal packte ich den kleinen grünen Kamm und den kleinen Spiegel mit dem gelben Griff ein. Es war ja gut möglich, dass ich jemanden mit verstrubbelten Haaren treffen würde, der sich dringend kämmen musste. Mein Vater hatte für einen solchen Fall zwar immer selbst einen Kamm in der Jackentasche, aber jemand anders könnte seinen Kamm ja auch mal vergessen haben.

Dann steckte ich noch eine kleine silberne Trillerpfeife ein. Die könnte sich möglichweise als nützlich erweisen, zum Beispiel, wenn jemand seinen Hund verloren hatte oder das Pfeifen noch nicht gelernt hatte oder dummerweise gerade heiser war oder vielleicht einfach mal Lust hatte, auf einer Trillerpfeife zu pfeifen. Praktisch in vielerlei Hinsicht!

Als nächstes entschied ich mich noch für ein ganz kleines Bilderbuch, ich glaube, es hieß „Petzi hütet einen Wal“ und ein Geduldsspiel. Das war so ein rundes, durchsichtiges Plastikdöschen mit dem Bild einer Katze und zwei kleinen silbernen Kugeln darin. Die Augen der Katze waren runde Vertiefungen. Du musstest die kleine Dose vorsichtig hin und her bewegen und dabei versuchen, die silbernen Kugeln in die Katzenaugen zu bugsieren. Und zwar so, dass beide gleichzeitig in den Vertiefungen lagen. Die erste durfte nicht wieder herauskullern, bevor auch die zweite drin war. Das war ganz schön kniffelig und konnte ziemlich lange dauern.

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Eine Katze ist zwar nicht dabei, aber diese kleinen Geduldspiele aus Holz sind eigentlich viel hübscher als meine Plastikdose von damals es war.

Wozu ich ein Buch und ein Spiel mitnehmen wollte, fragst du? Nun, das waren doch wirklich ausgesprochen nützliche Sachen! Stell dir nur vor, jemand hätte meine Hilfe gebraucht, weil ihm gerade langweilig war. Ich hätte doch als Sheriff ja keine Zeit gehabt, selber mit ihm zu spielen, damit ihm nicht mehr langweilig war. Also musste ich doch etwas dabeihaben, mit dem sich auch jemand ganz allein beschäftigen konnte.

Das waren nun auch schon alle Sachen,  von denen ich noch weiß, dass ich sie aus meinem Zimmer mitgenommen habe. Bestimmt war das nicht alles, aber ich komme gerade nicht darauf, was ich da noch eingepackt haben könnte. Vielleicht fällt es mir ja später noch ein. Ich erzähle einfach erst mal weiter. Da war nämlich noch etwas aus dem Badezimmer und etwas aus dem Wohnzimmer, an das ich mich ganz sicher erinnere.

Aus der Schublade im Badezimmer suchte ich mir ein blaues Taschentuch heraus, faltete es zusammen und steckte es in meine blaue Tasche. Das passte farblich doch recht gut, schien mir. Wieso wir blaue Taschentücher hatten? Was ist denn das für eine eigenartige Frage? Ach natürlich, entschuldige, ich habe nicht richtig nachgedacht. Heute habt ihr ja alle nur noch Papiertaschentücher! So etwas gab es bei uns damals noch nicht.

Unsere Taschentücher waren alle aus Stoff. Die gab es in allen möglichen Farben. Mein Vater hatte viele mit einem blauen oder braunen Muster, meine Mutter hatte weiße mit einer kleinen gehäkelten Borte und ich hatte ein paar kleinere in Rosatönen und ein grünes. Taschentücher bekam man damals zum Geburtstag und zu Weihnachten geschenkt. Dann waren sie noch richtig glatt und ganz ordentlich zusammengefaltet.

Wenn du dein Taschentuch benutzt hattest, kam es erst in die Waschmaschine, dann an die Wäscheleine und anschließend in die Schublade im Badezimmer. Dann war es nicht mehr schön glatt und ordentlich gefaltet, sondern ein bisschen knitterig. Es sei denn natürlich, du hast es richtig ordentlich gebügelt. Meine Mutter hat das nie gemacht, wahrscheinlich hatte sie keine Zeit oder keine Lust dazu oder sie fand es nicht so wichtig, weil man sich auch mit einem knitterigen Taschentuch gut die Nase putzen kann.

Ich selbst fand das auch nicht so wichtig. Trotzdem habe ich ein paar Mal versucht, unsere Taschentücher mit meinem Kinderbügeleisen zu bügeln. Das hat aber gar nicht wirklich geklappt. Obwohl es schon so ein Bügeleisen mit Strom wie das von meiner Mutter war, eben nur in kleiner, wurde es gar nicht richtig heiß  und die Taschentücher blieben einfach knitterig, egal wie lange du darauf rumgebügelt hast. Das war doch recht langweilig und ich habe das Bügeln aufgegeben. Irgendwann später habe ich dieses Kinderbügeleisen auf dem Flohmarkt verkauft. Heute habe ich zwar eins, das so groß ist und so heiß wird wie das von meiner Mutter, aber aus irgendeinem Grund macht mir auch damit das Bügeln keinen Spaß.

Wie dem auch sei, jedenfalls hatte ich nun ein blaues Taschentuch von meinem Vater in meiner blauen Tasche und würde jedem helfen können, der mich mit einer Schnoddernase um Hilfe bitten würde. Er musste zwar damit Vorlieb nehmen, dass es ein wenig knitterig war, aber zumindest roch es viel, viel besser als meine Tasche. Ach, übrigens finde ich es im Nachhinein ziemlich umsichtig von mir, dass ich überhaupt an ein Taschentuch gedacht habe. Ich selber habe nämlich draußen so gut wie nie eines benutzt.

Das war ja auch vollkommen unnötig, denn in Ammerswurth gab mehr als genug Blätter, die sich hervorragend zum Naseputzen eigneten. Wenn du die richtigen Blätter dafür kennst, hast du immer ein frisches Taschentuchblatt zur Hand und musst kein nasses, schmutziges Taschentuch mit dir herumtragen und es später auch nicht waschen oder eben wegwerfen, wenn du diese Papiertaschentücher benutzt.

Welche Blätter die richtigen sind, fragst du? Die von der Buche oder der Eiche sind es zum Beispiel nicht, denn sie sind viel zu klein. Die von dem Ahorn sind es auch nicht. Sie haben zwar schon die richtige Größe, sind aber viel zu glatt, um deine Nase ordentlich abzuwischen. Im Notfall gehen Ahornblätter aber zumindest ein bisschen. Richtig ungeeignet sind natürlich alle Blätter, die irgendwie rau und pieksig sind. Aber das versteht sich wohl von selbst. Du brauchst etwas großes, möglichst weiches. Ganz besonders tolle Draußen-Taschentücher sind zum Beispiel die Blätter vom Wollziest oder von der Kronenlichtnelke. Die haben so kleine Härchen, die sie  weich und flauschig  machen. Sie sehen nicht nur hübsch aus und fühlen sich gut auf der Haut an, sie machen auch deine Nase richtig schön sauber, glaub mir.

Aber wir waren ja gerade bei meiner Sheriffausrüstung. Also weiter mit der Geschichte! Jetzt musste ich noch schnell ins Wohnzimmer! Dort stand ein kleiner Tisch mit zwei Schubladen. Das war das Nähtischchen meiner Mutter, in dem du die tollsten Sachen finden konntest. Zum Beispiel ganz viele tolle Knöpfe! Zwei davon sahen aus wie Diamanten und glitzerten in der Sonne. Echte Diamanten waren es aber nicht, glaube ich,  wertvoll fand ich sie auf jeden Fall. Meine Mutter sicher auch, denn sie hat sie nie an ein Kleidungsstück angenäht, wenn irgendwo ein Knopf fehlte, ich denke aus Angst, sie könnten verloren gehen. Im Nähtischchen waren sie auf jeden Fall besser und sicherer aufbewahrt.

Also nahm ich die Diamantknöpfe diesem Tag natürlich auch nicht mit. Ich suchte mir zwei schwarze Knöpfe aus der Schublade heraus. Von denen hatte meine Mutter ganz viele, also war es sicher in Ordnung, sie im Notfall an jemanden zu verschenken, der einen Knopf von seiner Jacke oder seiner Hose verloren hatte. Dazu packte ich noch eine Rolle weißes Garn und eine ganz große Nadel in meine Tasche. Die großen fand ich persönlich ja viel praktischer als die  kleinen Nadeln, mit denen meine Mutter immer nähte. Bei den kleinen war es doch fast unmöglich, den Faden durch das winzige Nadelöhr zu bekommen. Das ging bei den großen viel leichter und schneller. Und als Sheriff musste ich ja schließlich schnell sein, um möglichst vielen Menschen  helfen zu können. Da konnte ich mich nicht stundenlang mit dem Einfädeln von Nähgarn aufhalten.

So langsam war meine kleine, blaue Tasche gut gefüllt und ich war auch wirklich schnell gewesen, denn ich hörte meine Mutter noch in der Küche hantieren, als ich durch den Flur zur Hintertür lief. Eine letzte Sache wollte ich noch einpacken, bevor ich meinen Dienst als Freund und Helfer aufnahm und die musste ich draußen im Stall suchen. Dort standen alle Geräte und Fahrzeuge, die mein Vater und seine Leute für ihre Arbeit auf den Baustellen und den Feldern brauchten.

Die Fahrzeuge wie der rote Trecker und der grüne Unimog waren nie abgeschlossen. Also konntest du jederzeit hineinklettern und zum Beispiel ein bisschen Treckerfahren spielen. Natürlich nur so auf der Stelle, obwohl ich jederzeit hätte versuchen können, in echt loszufahren. Es steckten nämlich auch sämtliche Schlüssel in den Zündschlössern. Das habe ich natürlich nie gemacht.

Zum Treckerfahrer-Spielen hatte ich an diesem Tag ohnehin keine Zeit. Ich wollte mir nur die Handschuhfächer angucken. Darin konntest du neben Handschuhen, Straßenkreide, Gummibändern und anderem nützlichen Kleinkram nämlich auch ganz oft Bonbons finden. Das waren immer die gleichen, in grünes Papier gewickelte, braune, ganz scharfe Bonbons. Heute weiß ich, dass es Eukalyptus-Bonbons waren, aber damals kannte ich so ein schwieriges Wort wahrscheinlich noch nicht. Ich nannte sie immer nur „scharfe, braune Bonbons“.

Meistens hatten sie da im Trecker oder im Unimog schon ziemlich lange herumgelegen, denn sie waren fast immer ganz klebrig. Kennst du so alte Bonbons? Die sind außenherum  schon ganz weich geworden und das ganze Weiche klebt dann am Bonbonpapier fest. So schlimm ist das aber nicht. Du kannst die weiche Masse auch gut vom Papier ablecken und den Bonbon trotzdem noch essen. Vielleicht werden deine Finger ein bisschen klebrig, aber die kann man ja auch ablecken.

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Auch heute gibt es diese braunen, scharfen Bonbons noch und ganz sicher werden sie genau so weich und klebrig wie früher, wenn du sie zu lange im Warmen liegen lässt.

Nach diesen Bonbons wollte ich jetzt suchen, denn etwas Essbares fehlte schließlich noch in meiner blauen Sherifftasche. Das musste ich ändern, wenn ich ein guter Freund und Helfer sein wollte. Das wäre ja sonst schön was geworden, wenn da plötzlich ein armer, hungriger Mensch vor mir gestanden hätte und ich nicht die kleinste Kleinigkeit zu essen dabei gehabt hätte. Zugegeben, richtig satt macht so ein altes Bonbon natürlich nicht, aber im Notfall ist es doch besser als gar nichts. Das wusste ich aus Erfahrung. Die alten Bonbons hatten mich schon oft gerettet, wenn ich bei einem anstrengenden Spiel im Stall furchtbar hungrig geworden war und keine Zeit hatte, ins Haus zu gehen und dort etwas zu essen. Ein kleines bisschen halfen sie auch immer gegen Durst. Zumindest kam es mir so vor.

An diesem Tag hatte ich bei meiner Bonbonsuche auf Anhieb Glück. Ich war in den grünen Unimog geklettert und ja, um dort hineinzukommen, musstest du wirklich klettern. Der war nämlich ganz schön groß und hoch, aber für die Bonbons oder ein Stück Kreide lohnte sich die Mühe. Und diesmal waren tatsächlich Bonbons da, sogar mehrere, vier oder fünf Stück, meine ich. Genau kann ich es nicht mehr sagen, es war nämlich mehr eine Art Bonbonklumpen, der an den Handschuhen und dem anderen Kleinkram in der Ablage klebte. Ich puhlte jedenfalls einen der Bonbons heraus und steckte ihn zu den anderen Sachen in meine blaue Tasche. Schnell noch die Finger abgeleckt und meine Vorbereitungen für den Nachmittag als Sheriff waren erfolgreich abgeschlossen. Wenn das nicht ein vielsprechender Start war!

Mit meiner perfekt vorbereiteten Ausrüstung in der Tasche verließ ich den Stall, lief einmal ums Haus und setzte mich auf meine Schaukel, die an unserem großen Kirschbaum hing. Dort wollte ich noch kurz warten, bis meine Mutter in der Küche fertig war und ins Bett gehen würde. Vorher würde sie sicher noch durch die Tür in den Garten schauen, um sicherzustellen, dass ich schön draußen spielte, wie sie es mir gesagt hatte. Die Schaukel war von der Tür aus gut zu sehen und zu schaukeln galt sicher als Draußen-Spielen. Und tatsächlich, wenig später winkte meine Mutter mir von der Tür aus zu. Nun konnte es losgehen. Sheriff Sünni, dein Freund und Helfer, war bereit, jedem zur Hilfe zu eilen, der Hilfe brauchen würde an diesem Sommertag in Ammerswurth.

Ich sprang von meiner Schaukel  und machte mich sofort auf den Weg zur Straße, damit mich niemand übersehen würde, der gerade Hilfe brauchte.

Ach, das ist es, was ich vorhin meinte: Nun bin ich erst so wenig mit der Geschichte vorangekommen und es ist schon wieder so spät geworden. Meine Tage sind tatsächlich viel kürzer als sie früher waren. Das bilde ich mir wirklich nicht ein. Aber was hilft es? Ich erzähle dann beim nächsten Mal weiter. Und ich glaube, dass wir dann tatsächlich zum Ende meines Tages als Sheriff kommen werden. So langsam wird es ja auch Zeit. Ich habe doch noch so viele andere Geschichten erlebt, die ich dir alle auch gerne erzählen möchte.

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Für die kleinen Schnoddernasen von heute gibt es etwas Besseres als Papiertaschentücher, z.B. diese niedlichen Kindertaschentücher aus fair gehandelter Bio-Baumwolle.

Hast du Lust weiter zu lesen? Hier geht es zum nächsten Teil der Sheriff-Geschichte:

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Sheriff für einen Tag Teil 8 – Wie es nach der Banditenjagd weitergehen sollte

Sheriff für einen Tag Teil 8 – Wie es nach der Banditenjagd weitergehen sollte

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Sheriff für einen Tag Teil 8

Da bist du ja wieder! Was hat dich seit dem letzten Mal beschäftigt? Du fragst dich, ob es mir nicht peinlich gewesen ist, dass ich vor den Mädchen mit den Ponys geflohen bin und mich versteckt habe? Oh, nein, kein bisschen. Sicher, ich habe dir ja erzählt, dass mir andauernd irgendetwas peinlich gewesen ist, aber das auf gar keinen Fall. Angesichts einer solchen Übermacht von Feinden, die größer und viel stärker sind als du, ist Fliehen nun wirklich das Klügste, das du tun kannst.

Das war schon richtig so, genau wie die Entscheidung, die Banditenjagd aufzugeben, nachdem sie so gefährlich geworden war. Auch der beste und mutigste Sheriff hätte sich nicht wissentlich in eine solche Gefahr gebracht, zumindest nicht allein. Und einen Hilfssheriff, der mich hätte unterstützen können, hatte ich damals ja nicht.

Also war klar, dass ich mir für die zweite Hälfte meines ersten Arbeitstages als Sheriff etwas anderes überlegen musste. Ich brauchte eine neue, sinnvolle Aufgabe für mich, meinen Sheriffstern und meine Sheriffhose. Nein, nicht mehr für meine Pistole, die hatte ich ja bei der gruseligen Begegnung mit der Ponybande verloren, wie du sicher noch weißt.

Beim Mittagessen überlegte ich also angestrengt, was ich mir für den Nachmittag vornehmen könnte. Was es zu essen gab, fragst du? Du, das weiß ich beim besten Willen nicht. Ich war so beschäftigt mit meiner Grübelei, dass ich wahrscheinlich überhaupt nicht darauf geachtet habe. Deshalb habe ich es mir auch nicht gemerkt. Aber gewiss war es etwas sehr Leckeres, denn meine Mutter hat wirklich jeden Tag ein wunderbares Mittagsessen für uns alle gekocht, ganz oft mit frischem Gemüse aus dem Garten. Da es ja gerade Sommer war, war bestimmt an diesem Tag auch etwas Selbstgeerntetes dabei, könnte ich mir vorstellen.

Aber egal, das ist ja auch grad nicht ganz so wichtig, obwohl es über meine liebsten und allerliebsten Gerichte, die meine Mutter kochte, viel zu erzählen gäbe.  Das Thema holen wir vielleicht bei Gelegenheit mal nach. Ich aß also schweigend mein bestimmt leckeres Mittagsessen und dachte nach. Das Schweigen machte mir an jenem Tag ausnahmsweise auch gar nichts aus. Sonst fand ich das immer so richtig blöd, beim Essen ruhig zu sein. Ich hatte doch immer so viel zu berichten nach einem langen, aufregenden Vormittag.

Mein Vater mochte es nicht, wenn ich am Tisch von meinen Abenteuern und Erlebnissen erzählte. „Schnöder nicht so viel!“, sagte er meistens. Manchmal sagte er auch: „Rappel nicht so viel!“ Das waren zwar unterschiedliche Sätze, aber sie bedeuteten bedeutete beide das Gleiche, nämlich, dass ich ruhig sein sollte. Oft war das ganz schön schwierig, sich daran zu halten. Vielleicht kennst du das Gefühl ja, das du hast, wenn du vor lauter Neuigkeiten, die aus dir herauswollen, fast platzt und dann will dir keiner zuhören. Nein, das fühlt sich nicht gut an.

An dem Tag war Schweigen aber absolut in Ordnung. Über die Mädchen mit den Ponys wollte ich sowieso nicht sprechen und außerdem hatte ich ja genug zu tun mit dem Nachdenken. Was macht ein Sheriff denn noch, außer Banditen zu jagen? Vielleicht suchte er ja auch mal nach gestohlenen Gegenständen? Das war gut möglich, aber bei uns in Ammerswurth wurde damals nie etwas gestohlen. Zumindest kannte ich niemanden, der irgendetwas vermisste. Es sei denn, er hatte es vielleicht verlegt oder verloren, aber Diebe und Einbrecher waren daran jedenfalls nicht schuld.

Eine verlegte Brille zu suchen, konnte ja nun nicht Aufgabe des Sheriffs sein. Der würde sich doch eher um geraubtes Gold oder gestohlene Diamanten kümmern. Ich weiß noch nicht einmal, ob in Ammerswurth überhaupt jemand Gold und Diamanten besaß. Wenn, dann hatten die Bewohner ihre Schätze gut versteckt, denn ich habe sie nie gesehen. Also würde sie wohl auch kein Dieb jemals finden und es gab keine Arbeit für mich als Sheriff. So kam ich nicht weiter.

Was machten denn die Sheriffs in den alten Western sonst noch, wenn sie keine Banditen jagten? Manchmal ritten sie einfach durch ihre kleine Stadt, die immer nur aus einer Straße bestand, und grüßten die Menschen mit erhobener Hand. Das war aber auch nichts, was ich hätte tun können. Dass unser Nachbar mir eins seiner Pferde leihen würde, hatte ich ja schon am frühen Morgen als äußerst unwahrscheinlich bewertet. Nun, ich hätte mich stattdessen ja auch mit meinem kleinen grünen Kinderrad auf den Weg machen können. Das Problem war nur, dass ich den Lenker beim Fahren noch nicht gut loslassen konnte. Da wäre das mit dem Grüßen und Winken ziemlich schwierig für mich geworden. Nein, das war nicht das Richtige.

Manchmal saßen Sheriffs auch breitbeinig in ihren Büros am Schreibtisch und bewachten die gefangenen Banditen in den Gefängniszellen hinter sich. Ein Büro gab es bei und im Haus auch. Natürlich könnte ich mich da an den Schreibtisch setzen, wenn nötig auch breitbeinig, obwohl meine Mutter immer sagte, das würde sich für Mädchen nicht gehören. Aber im Büro meines Vaters gab es keine Gefängniszelle, die war ja draußen im alten Plumpsklo. Und da ich am Morgen leider keinen einzigen Banditen geschnappt hatte, konnte ich natürlich nirgends einen Gefangenen bewachen.

Trotzdem gab es im Büro meines Vaters mindestens zwei richtig interessante Sachen. Die erste war die große Schublade in der Mitte seines Schreibtisches. Sie war in ganz viele kleine Fächer unterteilt, in denen du die tollsten Sachen finden konntest. Da gab es viele alte rostige Schlüssel, die in kein Türschloss im ganzen Haus passten. Nein, wirklich nicht, glaub mir, ich habe sie alle mehrfach ausprobiert. Da waren auch Münzen, die gar nicht aussahen, wie zum Beispiel eins meiner wertvollen Fünfzig-Pfennig-Stücke, kleine Taschenmesser, Teile von alten Kugelschreibern, die du vielleicht wieder zu einem Ganzen zusammenbauen konntest und noch zig andere Sachen, deren Verwendung mir vollkommen unklar war, die aber spannend aussahen.

Die andere interessante Sache war der Papierkorb unter dem Schreibtisch. Der war zu zwei Dingen zu gebrauchen. Wenn du nämlich Briefmarkensammeln spielen wolltest, konntest du dort welche finden. Im Papierkorb lagen meistens ziemlich viele Umschläge, weil mein Vater der einzige bei uns zu Hause war, der jeden Tag eine Menge Post bekam. Leider waren auf den meisten nur Stempel und keine Briefmarken, aber die ein oder andere ließ sich dann doch finden. Die habe ich dann sofort mit der großen Schere vom Schreibtisch ausgeschnitten und in die meine Keksdose gelegt.

Leider war dann das Briefmarkensammeln schon wieder vorbei, weil es sonst nur noch an einem anderen Ort im Haus welche gab und die durfte ich aus irgendeinem Grund nicht sammeln, obwohl es richtig viele waren und es sich dann mal richtig gelohnt hätte, Briefmarkensammeln zu spielen. In einer Schublade im Wohnzimmer lagen nämlich ganz, ganz viele alte Postkarten. Die waren nur schwarz-weiß und nicht besonders hübsch. Es waren Karten, die mein Großvater aus dem Krieg an meine Großmutter geschickt hatte. Die Briefmarken waren eigentlich auch nicht besonders hübsch und sahen fast alle gleich aus.

Trotzdem habe ich einmal angefangen, sie aus den alten Postkarten auszuschneiden, damit meine Briefmarkensammlung endlich auch mal nach einer richtigen, großen Sammlung aussah. Als meine Mutter dazukam und sah, wie ich konzentriert die kleinen Briefmarken aus den Karten ausschnitt, war sie leider gar nicht so begeistert. Ich durfte die, die ich schon gesammelt hatte zwar behalten, musste aber versprechen, in der Schublade nicht mehr zu sammeln, wenn ich nochmal Briefmarkensammler spielen wollte.

Also blieb nur der Papierkorb übrig und Briefmarkensammeln war immer ein kurzes Spiel. Zu einer richtig tollen Sammlung habe ich es nie gebracht und dieses Hobby auch schon in jungen Jahren aufgegeben. Aber es gab ja noch die zweite Sache, für die du den Papierkorb gebrauchen konntest, nämlich um Papier zu suchen. Ja, du hast Recht, das ist irgendwie schon offensichtlich, dass du in einem Papierkorb Papier finden kannst, aber hier geht es um besonderes Papier.

Ich brauchte immer viel Papier zum Malen. Als Kind habe ich nämlich immer sehr gern gemalt. Irgendwie konnte ich als Kind auch viel besser malen als ich es heute kann. Jedenfalls gefielen mir meine Bilder immer ausgesprochen gut und auch die Erwachsenen, denen ich sie schenkte, lobten immer meine Malkünste. Das ist heute nicht mehr so, ich habe das Malen wohl mit den Jahren verlernt.

Ich hatte natürlich auch einen Malblock, aber bei dem waren die Blätter alle gleich groß oder, besser gesagt, gleich klein. Darauf passte wirklich nicht allzu viel. Meistens war so ein Blatt schon voll, wenn ich gerade mal ein Haus, drei Bäume, eine Schaukel und ein Baumhaus gemalt hatte. So begann ich meine Bilder eigentlich immer. Für ein Klettergerüst war dann in den meisten Fällen schon kein Platz mehr, geschweige denn für einen oder mehrere Bauernhöfe mit Feldern und Tieren und einer Teerstraße drum herum.

 Da brauchte es schon deutlich größeres Papier und das gab es manchmal im Papierkorb meines Vaters zu finden. Aber dafür musstest du schon ordentlich Glück haben, denn großes Papier war selten und wertvoll. Ab und zu hatte ich dieses Glück und mein Vater hatte eine dieser großen Karten in den Papierkorb gelegt. Die sahen ein bisschen aus wie Landkarten. Sie waren allerdings nicht bunt und es waren auch keine Städte oder Straßen darauf, sondern nur schwarze Linie, Zahlen und irgendwelche Buchstaben. 

Irgendetwas hatten sie mit den Baustellen zu tun, auf denen mein Vater und seine „Leute“, wie seine Mitarbeiter hießen, arbeiteten. Wozu sie sie brauchten, wusste ich nicht. Das war mir auch nicht so wichtig, Hauptsache diese Karten waren groß und eine Seite war unbedruckt, so dass ich einen richtigen Bauernhof darauf malen konnte.

Ja, selbstverständlich haben Schubladen und Papierkörbe nichts mit dem Sheriff-Sein zu tun, Briefmarkensammeln und Malen auch nicht. Das wusste ich damals natürlich auch schon, ich wollte dir ja nur kurz erzählen, was du als Kindergartenkind im Büro meines Vaters machen konntest. Später kamen noch ganz andere Sachen dazu, wie zum Beispiel die vielen Stempel und die Schreibmaschine, aber ich komme ja schon zu der eigentlichen Geschichte zurück.

Gut. Was sollte ich nun an meinem ersten Nachmittag als Sheriff machen, außer ohne Banditen in einer Zelle breitbeinig im Büro zu sitzen, was sicher ausgesprochen langweilig wäre? Im Grunde war es ganz einfach. Und hätte ich weniger kompliziert gedacht, wäre es mir auch viel schneller eingefallen. Wie ich ja schon so oft sagte: Ein Sheriff ist doch so was Ähnliches wie ein Polizist und Polizisten sind auch dazu da, Menschen zu helfen. Wenn du irgendetwas brauchst oder vielleicht den Weg nicht kennst, kannst du einen Polizisten fragen.  Also musste das ja auch für einen Sheriff gelten, dachte ich mir.

Nach dieser Erkenntnis war der Plan ganz schnell gemacht. Ich würde sofort nach dem Essen eine Tasche mit lauter nützlichen Dingen packen und wieder nach draußen gehen. Wenn dann jemand vorbeikäme, der irgendetwas brauchte, konnte ich es einfach aus meiner Tasche ziehen und dem Menschen wäre sofort geholfen. Den Weg um Ammerswurth konnte ich einem Verirrten selbstverständlich auch erklären oder wie man von dort nach Meldorf oder Elpersbüttel kam. Perfekt! Ich war mir absolut sicher, dass ich auf diese Art am Nachmittag doch noch zu einem erfolgreichen Sheriff werden würde.

Dann waren meine Eltern mit dem Mittagsessen fertig und meine Mutter sagte: „Ich räum jetzt noch schnell die Küche auf und dann wollen wir Mittagsstunde machen. Du gehst dann solange draußen spielen!“ Wenn meine Eltern Mittagsstunde machen wollten, dann brauchten sie dafür immer viel Ruhe, sonst konnten sie wahrscheinlich nicht einschlafen. Da ich ja sowieso am liebsten draußen spielte, war das auch vollkommen in Ordnung.

Aber an dem Tag, hatte ich ja vorher noch etwas Wichtiges im Haus zu tun – nämlich all die nützlichen Sachen zusammenzusuchen, die ich für meine Sherifftasche brauchte. Oh, da musste ich mich nun aber beeilen, denn mir blieb gerade mal so viel Zeit, wie meine Mutter brauchte,  um die Küche aufzuräumen und das konnte sie leider ziemlich schnell, weil sie nie wirklich unordentlich war. Das würde jetzt ein bisschen stressig werden, aber zum Glück konnte ich ja schnell rennen und zur Not auch ein paar Treppenstufen herunterspringen, wenn es sein musste.

Also auf in den Nachmittag, Sheriff Sünni, dein Freund und Helfer!

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Sheriff für einen Tag Teil 7 - Wie die Banditenjagd endete

Ach, das war ein schöner Moment der Geschichte, an dem ich meine Erzählung beim letzten Mal unterbrochen habe. Vielleicht war es sogar der schönste Moment des ganzen langen Tages, an dem ich damals Sheriff war. Das Geklapper der Pferdehufe, diese Vorfreude auf die Banditen, die gleich um die Ecke geritten kommen würden und die Spannung,  wie sie wohl auf mich reagieren würden, wenn ich direkt vor ihnen auf die Straße gesprungen kam und sie mit meiner Holzpistole und meinem Sheriffstern zu Tode erschrecken würde!  Ein perfekter Moment war das, als ich dort saß, zum Absprung vom Weidenstumpf bereit, voller Mut und Tatendrang. Leider währte dieser perfekte Moment tatsächlich nur einen Augenblick, denn bereits Sekunden später überschlugen sich die Ereignisse und alles wurde einfach nur fürchterlich. Aber lass mich der Reihe nach weitererzählen.

Wenn du das Geklapper von beschlagenen Hufen auf einer Teerstraße hörst, gibt es gar keinen Zweifel daran, dass jeden Moment ein oder mehrere Pferde um die Ecke kommen. Kein Geräusch auf der ganzen Welt klingt genauso, egal, ob ein Pferd im Schritt, im Trab oder in vollem Galopp unterwegs ist. Ich kenne zumindest nichts, was sich auch nur so ähnlich anhört, wie der metallische Klang und der ganz eigene Rhythmus, der entsteht, wenn ein Pferd auf seine ganz eigene Art seine Hufe auf den Asphalt aufsetzt. Also konnte ich mich dieses Mal überhaupt nicht irren, ganz eindeutig waren es mehrere Pferde, die sich mir auf meinem Weidenthron näherten.

Und wenn mehrere Pferde eine Straße entlanglaufen, sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Reiter dabei. Wenigstens habe ich nie eine Gruppe Pferde gesehen, die ganz allein auf einem Spaziergang durch Ammerswurth unterwegs gewesen wäre. Auf den Weiden unseres Nachbarn liefen seine Pferde natürlich frei umher, aber im weichen Gras hörst du kein solches Hufgeklapper wie auf einer Teerstraße. Es mussten also Pferde mit Reitern sein. Und wer hätten diese Reiter schon sein sollen, wenn nicht Banditen?

Die jüngste Tochter unseres Nachbarn, die ein paar Jahre älter war als ich, konnte es jedenfalls nicht sein. Sie war zwar eine richtig gute Reiterin und kannte sich sehr gut mit Pferden aus, aber sie war nur eine Person und entsprechend auch immer nur mit einem Pferd zurzeit unterwegs.  Von ihr habe ich übrigens gelernt, wie man Pferde richtig striegelt und wie du ihre Hufe mit so einem komischen Schaber sauber machen musst. Sie machte sogar schon bei wichtigen Turnieren mit, wo man mit dem Pferd über hohe Hindernisse springen muss oder mit einer Stange einen aufgehängten Ring zu angeln versucht, während man ganz schnell reitet. Außer ihr hatte ich noch keinen der Ammerswurther je auf einem Pferd gesehen.

Mein Vater soll als junger Mann auch ein guter Reiter gewesen sein. Das haben mir mehrere Menschen erzählt. Außerdem gab es ein altes Schwarz-Weiß-Foto, das einen Mann auf einem Pferd beim Sprung über ein sehr hohes Hindernis zeigte. Es war ein schönes Bild, auch wenn es nur schwarzweiß war. Aber meinen Vater konnte ich darauf beim besten Willen nicht erkennen und ihn mir auf einem Pferd vorzustellen, gelang mir auch nicht recht. Ich kannte ihn nur auf dem Fahrrad, hoch oben auf dem Trecker oder vielleicht noch auf dem Unimog. Als Reiter habe ich ihn nie gesehen.

Also war es doch nur folgerichtig anzunehmen, dass es eine Bande berittener Banditen war, die da auf mich zukam, oder findest du nicht? Meinst du auch? Ja, so kann es gehen. Da denkst du, etwas sei absolut logisch, klar wie Kloßbrühe und kann gar nicht anders sein und merkst viel zu spät, dass du ein klitzekleines Detail übersehen hast, das plötzlich alles ändert. So erging es mit an dem Tag, ich hatte bei meiner Schlussfolgerung nur eine kleine Sache nicht bedacht und so klein sie auch war, die Gefahr in die ich durch sie geriet, war riesengroß.

Ich wartete also voller Vorfreude und Spannung auf meinen großen Auftritt als Sheriff. Und dann kamen die Reiter tatsächlich um die Ecke. Es waren mehrere, genau wie ich es erwartet hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde wunderte ich mich noch, dass ihre Pferde so klein aussahen, obwohl sie schon ganz nahe waren. Und Taschentücher vor dem Gesicht, wie sie die Banditen trugen, hatten die Reiter auch nicht auf. Meine Verwunderung dauerte aber wirklich nur ganz, ganz kurz, wie so ein kleiner Blitz, der aus deinem Gehirn geschossen kommt. Nach diesem letzten kurzen Bruchteil einer Sekunde, vergaß ich sofort alle Banditen und Sheriffs der ganzen Welt und das einzige, was ich noch dachte und fühlte war pure Angst. Ganz schreckliche Angst, so eine, bei der du dein Herz schnell und laut  ganz oben im Hals klopfen spürst und du dich kaum mehr bewegen kannst. Ach, wäre ich doch an dem Tag nicht so auf die Banditen konzentriert gewesen! Dann hätte ich es doch sofort gewusst, welche schreckliche Gefahr da gleich um die Ecke kommen würde und mich rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Nun war es zu spät, alles war aus!

Es war eine berittene Bande! Insoweit hatte ich ja durchaus richtig gelegen. Aber es war eine Bande, die tausendmal schrecklicher war, als die größte Banditenbande, die ich mir nur hätte vorstellen können. 30 wilde Banditen oder noch mehr, meinetwegen sogar welche, die auch Pistolen hatten, alles wäre mir lieber gewesen, als die Bande, die da direkt auf mich zuritt. Es waren die Mädchen mit den Ponys!

Lachst du etwa gerade? Oh, ich verstehe. Mädchen mit Ponys klingt nicht gerade schrecklich für dich. Auf manche Mädchen mit Ponys mag es ja vielleicht zutreffen, dass sie überhaupt nicht schrecklich, gefährlich und furchteinflößend sind. Aber es waren DIE Mädchen und die waren so ziemlich das Schrecklichste, Gefährlichste und Furchteinflößendste, das ich mir damals überhaupt nur vorstellen konnte. Sie kamen des Öfteren vom Deich her durch Ammerswurth geritten.

Allen voran die Anführerin der Bande. Ein Mädchen, das so groß und stark aussah, dass das Pony unter ihm schon fast winzig wirkte. Ohne das große Mädchen auf seinem Rücken, hätte ich das Pony gewiss niedlich gefunden. Aber zusammen mit dieser Reiterin, die aufrecht im Sattel saß und unglaublich mächtig aussah, wirkte das Tier auf mich grimmig und unberechenbar. Es schien seine Zähne zu fletschen, als wolle es mich auslachen oder im nächsten Moment zubeißen. Und glaub, mir Ponys haben fast so große Zähne wie Pferde. Vor dem Gebiss eines Pferdes musst du dich immer in Acht nehmen. Daher musst du Pferde auch immer aus der flachen Hand füttern. Dann nehmen sie den Apfel oder die Möhre vorsichtig mit ihren ganz, ganz weichen Lippen von deinem Handteller. Wenn du das Futter aber festhältst, kann es leicht passieren, dass ein Pferd dir in die Hand beißt. Glaub mir! Das Gleiche gilt auch für Ponys.

Der Anführerin der Bande folgten noch andere Mädchen mit Ponys. Wie viele genau es waren, kann ich nicht sagen. Zeit zum Zählen hatte ich damals nun wirklich nicht. Ich denke, fünf oder sechs könnten es gewesen sein. Die Mädchen kannte ich nicht. Es waren jedes Mal andere, die mit der Anführerin ritten. Insgesamt muss das eine wirklich riesige Bande gewesen sein, aber alle zusammen habe ich nie gesehen. Zum Glück! Egal, in welcher Besetzung sie auch unterwegs waren, von diesen Mädchen ging immer äußerste Gefahr aus. Sobald sie mich einmal irgendwo erblickten, bedeutete die Anführerin der ganzen Truppe anzuhalten. Manchmal stiegen sie sogar von den Ponys ab. Die Mädchen lachten dann laut und riefen bedrohliche Sachen nach mir. Was sie riefen, verstand ich meistens nicht, aber etwas Bedrohliches war es in jedem Fall. Das konntest du immer genau am Tonfall erkennen. Ich wusste, wenn sie mich erwischen könnten, dann würde es mir schlecht ergehen. Also rannte ich dann so schnell ich konnte weg. Bisher war ich ihnen immer entkommen. Wer weiß, was sie sonst mit mir gemacht hätten. Das mag ich mir ja gar nicht vorstellen.

Aber dieses Mal, ja dieses Mal saß ich in der Patsche. Mein schöner, gemütlicher Weidenthron war nun plötzlich zu einer Falle geworden. Der einzige Weg nach unten führte direkt auf die Teerstraße, denn hinter mir waren ja die hohen Weidenstämme und direkt dahinter der Graben. Wenn die Mädchen mit den Ponys erst einmal direkt vor mir auf der Straße angekommen waren, konnte ich nirgends mehr hin. Dann hatten sie mich sofort. Um noch von dem Baum herunterzukommen, musste ich direkt vor sie auf den Weg springen. Wohin aber sollte ich dann noch fliehen? Sie saßen ja auf den Ponys und waren damit viel schneller als ich zu Fuß.

Ach, es war aussichtslos! Ich war so gut wie geliefert. Die großen Mädchen würden mich schnappen und schreckliche Sachen mit mir machen. Ich hatte eine solche Angst vor dem, was nun gleich geschehen würde. Wahrscheinlich zitterte ich am ganzen Körper und war weiß wie ein frischgewaschenes Bettlaken. Genau weiß ich das natürlich nicht. Ich konnte mich ja selber nicht sehen, sondern nur spüren, wie mein Herz raste. Ich musste versuchen zu entkommen! Jede Sekunde, die ich noch auf der Weide hocken blieb, machte meine Lage auswegloser. Ich atmete also einmal tief durch und sprang. Ich sprang direkt auf die kleine Teerstraße und landete nur wenige Meter vor der Anführerin auf ihrem grimmigen Pony.

Zum Glück landete ich bei diesem Sprung auf den Füßen und nicht mit den Knien auf den spitzen Steinen. In dem Fall hätten mich die Mädchen sofort umzingelt und an Flucht wäre nicht mehr zu denken gewesen. Trotzdem sahen sie mich natürlich augenblicklich, als ich da aus dem Baum gesprungen kam. Ich war zwar noch klein, aber leider nicht so klein, dass sie mich einfach hätten übersehen können. Sie begannen sofort laut zu lachen und zu grölen. Das waren vielleicht Sachen wie: „Ei, da ist sie ja!“, „Oho, die Kleine!“ oder einfach nur „Aha!“ Alles davon klang einfach schrecklich!

Was sollte ich nun machen? Die Teerstraße entlangzulaufen, wäre keine gute Idee gewesen. Wer kann schon barfuß über spitze Steine vor einem galoppierenden Pony flüchten? Richtig, das klappt nicht. Niemals hätte ich es so bis zu unserem Haus geschafft. Auf der anderen Seite der Straße war unsere Obstwiese. Aber um dorthin zu gelangen, hätte ich zunächst über das hohe Metalltor klettern müssen, das den Weg versperrte. Das hätte ich wohl auch nicht schnell genug bewerkstelligen können. Die Mädchen hätten mich gewiss auf halber Höhe vom Tor gepflückt wie einen reifen Apfel. Schießen hätte mir auch nichts genützt. Diese Mädchen hatten anders als Banditen keine Angst vor Holzpistolen, das war mir klar. Zudem hatte ich meine Pistole sowieso schon vor dem Sprung aus der Weide fallen lassen, glaube ich. Ich erinnere mich leider nicht mehr, aber nach diesem Moment habe ich sie nie mehr wiedergefunden. Wirklich gesucht habe ich sie allerdings auch nicht.

Der einzige andere Weg, den es noch gab, war die steile Böschung hinter mir, die zum Graben herunterführte. Und über diesen Graben kamst du nur, wenn du dir eine Brücke gebaut hattest. Um einfach  darüber zu springen, war er zu breit, auch wenn du gut springen konntest. Solche Brücken baute ich mir des Öfteren. Dazu brauchtest du nur ein Brett aus dem grünen Schuppen. Du weißt schon, der Schuppen, in dem ich meinen Eimer mit den Silbersteinen versteckt hatte. Darin befand sich auch ein riesiger Stapel alter, langer Bretter. Davon konntest du dann eins bis zum Graben ziehen und versuchen, es so darüber zu schieben, dass es auf beiden Seiten ein Stück weit über das Wasser reichte. Naja, wenn ich Wasser sage, stimmt das eigentlich nicht so ganz. Wenn es richtig stark geregnet hatte, war schon auch Wasser in dem Graben. Aber die meiste Zeit war es hauptsächlich Jauche.  Die war gelb-braun und an warmen Tagen ziemlich stinkig.  Die Gülle lief damals noch direkt aus dem Kuhstall der Nachbarn in diesen Graben.  Der Kuhmist allerdings lief über ein steiles Förderband bis ganz nach oben und klatschte, dort wo das Band endete, auf die Spitze des riesigen Misthaufens.

Jedenfalls war das mit der Bretterbrücke und dem Jauchegraben schon eine ziemlich gefährliche Angelegenheit. Der Graben war breit und tief, die alten Bretter hingegen waren dünn und schon ziemlich morsch. Also musstest du beim Darüberlaufen wirklich vorsichtig sein. Sie konnten sich durchbiegen und wenn du dann keine Gummistiefel anhattest, lief dir die Jauche direkt über die Füße. Oder, was noch schlimmer war, die Bretter konnten brechen. Tja, genauso habe ich damals herausgefunden, dass der Graben exakt so tief war, dass mir die Jauche bis zur Brust reichte. An dieser Erkenntnis war meine Mutter allerdings gar nicht interessiert, als ich nach dem Brückenunglück patschnass von stinkender Gülle in den Hausflur kam und ihr davon berichten wollte.

In jenem Moment, als ich direkt vor den Mädchen mit den Ponys stand, war eine solch gefährliche Brücke meine einzige Hoffnung. Ich hatte oft welche hinter dem Weidenthron gebaut, aber du konntest sie eigentlich immer nur einen Tag lang benutzen. Schon am nächsten Morgen schwammen sie meist quer im Jauchegraben oder waren schon untergegangen. Wahrscheinlich war dort unten am Ende der Böschung also keine meiner Brücken mehr. Aber egal, vielleicht hatte ich ja an diesem Tag ausnahmsweise auch mal ein bisschen Glück! Und falls nicht, wollte ich doch wesentlich lieber in dem Jauchegraben ertrinken, als den schrecklichen Mädchen in die Hände zu fallen.

So drehte ich mich also kurzentschlossen um, setzte mich hin und rutschte auf dem Hosenboden durch Gras, Giersch und meinen geliebten Wiesenkerbel die Böschung hinunter bis an den Grabenrad. Und siehe da! Das Glück war mir hold. Da lag tatsächlich noch eins der alten morschen Bretter über dem Graben. Es war nur ein bisschen nach unten durchgebogen, sodass es in der Mitte etwas von der Gülle überflutet war. Die Aussicht auf ein bisschen Jauche an den Füßen konnte mich jetzt nicht aufhalten. Füße kann man ja schließlich waschen und zwei schmutzige nackte Füße waren nun wirklich kein zu hoher Preis für mein Leben. Ich balancierte also so schnell wie möglich über das Brett, das glücklicherweise nicht brach,  auf die andere Grabenseite und rannte ein paar Meter in das hohe Getreide auf dem Acker hinein, bis ich mich schließlich flach auf den Boden warf. Vorerst war ich in Sicherheit! Die Mädchen konnten mich nicht mehr sehen und mussten mich im Kornfeld erst einmal finden.

Ja, du hast Recht! Es wäre sehr schlau gewesen, die Brücke einfach auf die andere Grabenseite zu ziehen, als ich erst darüber war. Dann hätte die Ponybande mich nicht so leicht verfolgen können. Der Gedanke kam mir leider viel zu spät. So ist das eben, wenn du so große Angst hast, dann kannst einfach nicht richtig gut nachdenken. Die Mädchen waren inzwischen längst an der abgesägten Weide angekommen. Ich konnte hören, wie die Ponys schnaubten und sich auf der Stelle im Kreis drehten. Die Bande hatte also Halt gemacht. Die Anführerin war aus dem Sattel gesprungen und mit einem lauten Klacken ihrer Stiefabsätze auf der Teerstraße gelandet.

„SSSSSwiiiietiiie!  Wir haben dich gesehen, SSSSwiiietiiie!“, rief sie mit einer hohen, kreischenden Stimme über den Graben in meine Richtung. Ich rührte mich nicht. Die anderen Mädchen lachten und begannen auch dieses langgezogene „SSSSwiiietiiie!“ zu rufen. Ich wusste nicht, was das bedeuten sollte, aber sie meinten ganz sicher mich und es bedeutete nichts Gutes. Es klang, als würde eine ganze Schar Hexen versuchen, dich mit einem süß und gleichzeitig schaurig klingenden Singsang in die Falle zu locken. „Na, SSSSwiiietieee, versteckst du dich?“, „Komm raus, SSSSwiiietiiie!“, „SSSSwiiietiiiiiiie!“ Immer lauter wurde das Rufen oder zumindest kam es mir so vor. Sie kamen doch nicht etwa schon über die Brücke? Ich drückte mich so flach auf den Boden, wie es nur ging und wagte nicht, den Kopf zu heben, obwohl ich natürlich gerne nachgesehen hätte, ob die Mädchen schon auf meiner Seite des Grabens waren.

Ich weiß nicht, wie lange ich da so lag, mich fürchtete und dem schaurigen Rufen zuhörte. Vielleicht waren es nur Minuten, aber mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Nach geraumer Zeit  veränderte sich allerdings plötzlich etwas. Unter die SSSwiiitiiie- Klänge mischte sich plötzlich ein anderer  Ruf aus der Ferne. Ich lauschte angestrengt, um ausmachen, wer da etwas rief und woher es kam. „Sünje! Sünje! Mittagessen!“ Meine Mutter! Wieder mal kam sie dann doch noch zu meiner Rettung! Ich wagte natürlich nicht, mich zu bewegen oder zu antworten, sondern blieb still liegen. Sie rief immer weiter nach mir.

Die Mädchen hörten meine Mutter schließlich auch und ihr Gegröle verstummte. Wahrscheinlich haben sie sie auch gesehen, als sie über den Hof lief, um mich zu suchen. Ich hörte, wie sich die Ponys wieder in Bewegung setzten und ihre Hufe die Teerstraße an unserem Haus vorbei Richtung Hauptstraße klapperten. Sie ritten endlich davon!  Für heute war ich gerettet. Vorsichtshalber blieb ich noch eine Weile liegen, bis ich mich schließlich  traute, den Kopf ein wenig zu heben und durch den Weizen Richtung Hauptstraße zu spähen. Ja, die Mädchen waren schon halb in Elpersbüttel. Jetzt konnte ich aufstehen und zu meiner Mutter laufen, die schon ein wenig ungeduldig aussah.

„Warum antwortest du denn nicht? Ich such dich schon die ganze Zeit und das Essen wird kalt!“, so oder so ähnlich sagte sie. Meine schmutzigen Füße, die grünen Knie und die grünen Flecken auf meiner Sheriffhose kommentierte sie nicht. Ich glaube, sie kannte es damals einfach nicht anders, als dass morgens eine saubere Tochter aus dem Haus ging und mittags eine zerkratzte, schmutzige Tochter zurückkam. „Na, dann komm jetzt“, sagte sie noch und ging mir voran zurück in Richtung unseres Hauses.

Ich folgte ihr. Ob ich noch etwas gesagt habe, weiß ich nicht und wenn, dann war es zumindest nichts Bedeutsames.  Gedacht habe ich aber umso mehr. Ich dachte daran, wie haarscharf das gerade gewesen war und wie schrecklich gefährlich diese Banditenjagd war. Ja, die Banditenjagd war an allem schuld!  Wenn man Banditen jagt, kann man sich auf gar nichts anderes mehr konzentrieren und wozu das führen kann, hatte ich ja gerade fast am eigenen Leib zu spüren bekommen. So ging das nicht weiter!

Ich wollte ja gerne Sheriff bleiben und dem mir verliehenen silbernen Sheriffstern alle Ehre machen – aber nicht so! Bis nach dem Mittag musste ich mir dringend etwas einfallen lassen. Für einen Dorf-Sheriff in Ammerswurth musste es doch noch andere Aufgaben geben. Mit der Banditenjagd musste jedenfalls Schluss sein, wenn mir mein Leben lieb war. Und das war es! Die Banditenjagd endete jetzt und hier, in der prallen Mittagssonne, während ich hinter meiner Mutter über den Hof trottete.

Wie es dann mit meinem Tag als Sheriff am Nachmittag weiterging, erzähle ich dir beim nächsten Mal. Jetzt muss ich mich erst mal von der Erinnerung an die schreckliche Ponybande erholen, die mich an dem Tag – und das nicht zum letzten Mal in meinem Leben – fast, aber nur fast, erwischt hätte. Aber das weißt du ja, denn sonst wäre es ja aus mit mir gewesen und ich hätte dir heute keine der alten Geschichten aus den 70er Jahren mehr erzählen können.

 

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Nach diesen Gruselschocker hast du vielleicht Lust, ein paar weniger bedrohliche berittene Mädchen zu sehen? Dick und Dalli und ihre Ponys hätte ich als Kind sehr gerne getroffen. Wenn diese Filme im Fernsehen liefen, durften wir immer etwas länger aufbleiben. Und die Geschichten vom Immenhof haben wir dann immer mit großer Begeisterung nachgespielt. 

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WeiterlesenSheriff für einen Tag Teil 7 – Wie die Banditenjagd endete

Sheriff für einen Tag Teil 6 – Wie ich neuen Mut fasste

Sheriff für einen Tag Teil 6
– Wie ich neuen Mut fasste

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Sheriff für einen Tag Teil 6 der Geschichte

Ich weiß, meine Erzählung  ist beim letzten Mal ein wenig ins Stocken geraten, weil ich einfach nur in meinem Baumhaus hockte und mit meinem peinlichen  Gefühl beschäftigt war, anstatt Banditen zu jagen. Zum Glück konnte ich  es aber nach einer Weile fast beiseiteschieben und mich wieder an meine Arbeit als Sheriff machen. Und das war so:

Nachdem ich mich lange genug geschämt hatte, dass ich fast eine alte Frau verhaftet und in das baufällige Plumpsklo gesperrt hätte und auch über alle andere Peinlichkeiten in meinem bisherigen Leben nochmal reiflich nachgedacht hatte, nahm ich schließlich mein letztes bisschen Mut zusammen. Ich wollte noch einen letzten Versuch unternehmen, zumindest einen richtigen Banditen zu schnappen, peinliches Gefühl hin oder her. Ich wusste nicht, wo genau es in mir drin steckte, ob nun in meinem Bauch, in meinem Kopf oder sonst wo. Egal, wo es saß, es hatte da nun gefälligst zu verschwinden.  Ich hatte schließlich ein ganzes Dorf zu beschützen und das war wohl schlecht möglich, wenn ich mich nur versteckte und trüben Gedanken nachhing.

Ich warf also einen letzten Blick auf meinen silbernen Sheriffstern an meiner Sheriffhose und auf die Pistole in meiner Hand, die in meinem Schoß lag. Dann hob ich entschlossen meinen gesenkten Kopf, um die Straße wieder ins Visier zu nehmen und nach Banditen Ausschau zu halten.  Der Radweg nach Elpersbüttel war menschenleer, weit und breit niemand in Sicht, auch keine Banditen. Eigentlich war ich darüber ganz erleichtert, denn ich wusste nicht genau, ob ich mich schon wieder in der Lage gefühlt hätte, nach meinem peinlichen Misserfolg sofort dem nächsten Banditen gegenüberzutreten.

Sicherheitshalber blickte ich auch noch einmal in Richtung Meldorf, um mich zu vergewissern, dass auch von dort keine Gefahr drohte. Im Grunde erwartete ich nicht, etwas Verdächtiges zu sehen. Doch was war das? Irgendetwas kam eindeutig auf Ammerswurth zu. Für einen Menschen auf einem Fahrrad war es viel zu breit und auch viel zu schnell. Ein Pferd war es ebenfalls nicht. Ein Auto konnte es aber auch nicht sein, dazu war es dann wiederum zu klein und zu langsam und außerdem befand es sich eindeutig auf dem Radweg. Was war es also? Vielleicht ein Bandit auf einem Rasentrecker oder in irgendeinem selbstgebauten Fahrzeug wie zum Beispiel einer Seifenkiste, überlegte ich. Der Rasentrecker erschien mir wahrscheinlicher, allein schon deshalb, weil ich aus der Ferne ein leises Knattern wie von einem alten, kaputten Motor zu vernehmen meinte.

Ich ermahnte mich dennoch, diesmal keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und verharrte erst mal in meinem Versteck hinter dem Stamm des Apfelbaumes, um die Lage weiter zu beobachten. Das war auch gut so, denn es war schlussendlich die absolut richtige Entscheidung. Ansonsten hätte ich wohl ein zweites Mal grundlos um mich geschossen und es wäre schon wieder peinlich für mich geworden. Als das, was da auf mich zukam, nämlich den Ortsrand von Ammerswurth erreicht hatte, konnte ich deutlich erkennen, um was es sich handelte. Wenn ich „Ortsrand“ sage, dann ist damit der Hof neben unserem gemeint, in dem Onkel Werner und Tante Marga wohnten. Das ist genau dort, wo mein Vater und ich damals den Unfall mit dem Rennrad gehabt haben, du erinnerst dich. Ihr Haus war das erste, das man erreichte, wenn man von Meldorf kam. Dann kam unser Haus. Das war dann genaugenommen der andere Ortsrand, nämlich der nach Elpersbüttel. Mehr Häuser direkt an der großen Straße gab es auf unserer Seite nicht. Gegenüber stand nur ein einziger Hof.  Der war also zwei Ortsränder gleichzeitig.

Nun, jedenfalls erkannte ich schließlich, was sich dort auf dem Radweg so schnell bewegte. Es war kein Bandit. Es war einer von den ganz großen Jungs. Die großen Jungs waren die, die schon zur Grundschule gingen, aber die ganz großen gingen auf ganz andere Schulen und waren fast schon erwachsen, aber doch noch nicht ganz. Heute würde man wahrscheinlich „Teenager“ oder so etwas zu ihnen sagen, aber das Wort kannte zumindest ich damals nicht. Die ganz großen Jungs hatten fast alle so ein ganz kleines Motorrad, mit dem sie aus den Dörfern zu ihren verschiedenen Schulen fahren konnten. Mopeds sagten sie dazu. Die Mopeds waren nicht so schnell wir ein richtiges, großes Motorrad und deshalb durften sie damit nur auf dem Radweg fahren.

Also waren die Mopeds eigentlich nur halbe Motorräder. Genau aus dem Grund, so dachte ich mir, hatten die ganz großen Jungs beim Fahren auch nur halbe Helme auf. Das waren solche, die fast aussahen wie eine Mütze. Diese Helme hatten keine Scheibe vor den Augen und du konntest die Gesichter der Jungs genau sehen. Und ihre Gesichter sahen immer mächtig stolz aus, wenn sie mit ihren Mopeds durch Ammerswurth fuhren. Wie mein kleines grünes Kinderrad hatten auch diese Mopeds Pedale. Allerdings schienen die  nicht wichtig zu sein, zumindest benutzten die ganz großen Jungs sie nie. Sie stellten ihre Füße immer vor sich mitten auf ihr Moped. Die meisten hatten dabei außerdem noch die Knie ein bisschen nach außen gebeugt und die Füße über Kreuz gestellt. Das sah ein bisschen so aus, als ob du dich gleich im Schneidersitz auf dem Boden niederlassen wolltest. Ich fand das ein wenig komisch, aber ich glaube, damals war das einfach lässig genau auf diese Art auf seinem Moped zu sitzen. Du würdest heute wahrscheinlich „cool“ dazu sagen, in meiner Kindheit kannten wir dieses Wort aber auch noch nicht.

Was denn nun an einem Jungen auf einem Moped so „breit“ ausgesehen hat, fragst du? Nur Geduld, eben dazu will ich ja gerade kommen. Morgens, wenn die ganz großen Jungs zu ihren Schulen fuhren, waren sie mit ihren Mopeds auf dem Radweg tatsächlich kaum breiter als ein Fahrrad. Wenn dir welche entgegenkamen, konntest du bequem an ihnen vorbeikommen. Aber mittags, wenn sie aus ihren Schulen in Meldorf zurückkamen, brauchten sie meistens die ganze Breite des Radwegs. Und jetzt war ja schon fast Mittag und das Moped kam aus Meldorf, was die doppelte Breite erklärt.  Aus der Schule brachten sich nämlich fast alle der Jungs immer ein Mädchen auf einem Fahrrad mit. Das Mädchen hielt sich dann an der Schulter des Jungen fest und ließ sich von ihm und seinem Moped ziehen. Es brauchte seine Pedale dann ebenfalls nicht und hatte deshalb die Füße genauso über Kreuz auf der Stange seines Fahrrads stehen wie der Junge auf seinem Moped. Bei den Mädchen-Fahrrädern ging das ganz gut, weil die Stangen ja ganz tief unten waren und nicht oben wie zum Beispiel bei dem Rennrad meines Vaters.

Auf die Art konnten dann der Junge und das Mädchen beide so schnell fahren, als hätte jeder von ihnen ein Moped und das ganz ohne  sich anzustrengen und feste in die Pedale zu treten. Wie genau das mittags in Meldorf entschieden wurde, welcher Junge welches Mädchen mitnehmen musste, wusste ich leider nicht. Ich ging ja schließlich noch nicht in die Schule und kannte mich damit nicht so genau aus. Das System muss aber gerecht gewesen sein, denn die Jungs und Mädchen sahen immer zufrieden und stolz aus, wenn sie, die ganze Breite des Radwegs einnehmend, nebeneinander nach Hause in ihre Dörfer knatterten. Bis nach Elpersbüttel und sogar noch weiter.

Mädchen hatten damals übrigens selber so gut wie nie Mopeds. Ich persönlich kannte nur ein einziges. Das kam auch jeden Morgen von Elpersbüttel auf dem Weg nach Meldorf durch Ammerswurth und mittags wieder zurück. Es hatte genau wie die Jungs so einen halben Helm, ohne Scheibe vor dem Gesicht. So konnte ich genau erkennen, dass das große Mädchen immer ganz doll geschminkt war. Nicht so wie meine Mutter, wenn sie, was ganz selten der Fall war, abends mit meinem Vater zu einem Fest ging. Dann hatte sie ein bisschen blaue Schminke an den Augen und rote an den Lippen. Das Mädchen hatte aber überall im Gesicht Farbe. Die Lippen waren meistens pink und die Wangen ebenso. Rund um die Augen malte es sich immer bunt an, manchmal mit grün und blau, manchmal auch rosa und lila. Jungs musste dieses Mädchen nach der Schule nie mitnehmen. Jedenfalls habe ich kein einziges Mal gesehen, dass es einen neben sich hergezogen hat. Vielleicht galten die Mitnehmregeln der Schule damals nicht für Mädchen oder aus ihrem Dorf hatten alle Jungs ein eigenes Moped und brauchten keine Mitfahrgelegenheit, um nach der Schule schnell nach Hause zu kommen.

Ich weiß es nicht. Aber an dem Tag, als ich Sheriff war, wusste ich, dass von dem Jungen und dem Mädchen auf dem Radweg keine Gefahr für Ammerswurth ausging und ich somit nicht einzuschreiten brauchte, als sie vorbeifuhren. Ebenso wusste ich, dass die Schule zumindest für einige nun bereits aus war und ich mich beeilen musste, wenn ich vor dem Mittagessen noch einen Banditen fangen wollte. Ob ich das denn wirklich wollte, fragst du? Ja, ich wollte schon. Aber zum einen schien sich entlang der Hauptstraße einfach kein richtiger Bandit zeigen zu wollen und zum anderen war ich mir immer noch etwas unsicher, ob ich mich nach dem peinlichen Vorfall mit der alten Frau einer solchen Auseinandersetzung gewachsen fühlte.

Also überlegte ich, bildete mir ein Urteil und fasste schließlich zwei Entschlüsse. Erst einmal war es wohl deutlich geworden, dass die Banditen die Hauptstraße mieden und sich wahrscheinlich eher von anderer Seite an unser Dorf heranschleichen würden. Zum Beispiel durch das Kornfeld, das ich ja von Anfang an schon als perfektes Banditenversteck im Visier gehabt hatte. Also war es doch das Beste wieder an den Graben zurückzukehren, an dem ich meine Pistole gefunden hatte und von wo aus ich den Acker gut im Blick hatte. Das war der erste Entschluss, den ich damals fasste. Darüber hinaus musste ich noch etwas gegen meine Unsicherheit tun und es schaffen, mich wieder wie ein großer, unerschrockener Sheriff zu fühlen.

Und wie konnte das besser gehen, als mit einem Lied? Genau, ich musste ein Sherifflied singen! Und das richtig laut. So laut, dass es um mich herumklingen würde, so laut, dass es jeder hören könnte, so laut, dass jeder sofort wüsste, hier kommt ein furchtloser Sheriff. Wenn ich das schaffen könnte, dann würden es nicht nur die anderen wissen, sondern ich selber würde es auch wieder fühlen, wie stark und mutig ich war. Ein Sherifflied musste her und das sofort! Laut singen konnte ich zumindest schon mal. Meine Kindergärtnerin, Frau Streck sagte zumindest immer zu meiner Mutter: „Sünje ist meine große Stütze beim Singen.“ Was genau das bedeuten sollte, wusste ich zwar nicht, aber es klang deutlich so, als sei es etwas Gutes. Viele Lieder kannte ich auch.

Meine Mutter sang mir fast jeden Abend am Bett ein Lied vor. Sie konnte wunderschön singen, mit einer tiefen, warmen Stimme und sie kannte alle Lieder mit allen Strophen auswendig. Gedichte konnte sie auch ganz viele aufsagen. Auch solche, die wirklich lang waren, und überlegen, wie es weiterging, musste sie dabei nie. Viele von ihren Liedern kannte ich inzwischen auch schon ziemlich gut. Schließlich hatte ich sie schon etliche Male gehört, seit ich auf der Welt war. Weißt du wieviel Sternlein stehen kannte ich, Guten  Abend, gute Nacht ebenso und mein liebstes von all den Abendliedern Der Mond ist aufgegangen natürlich auch. Zu diesem Lied gibt es übrigens auch noch eine Geschichte zu erzählen. Erinnere mich doch beizeiten daran!

All diese schönen Lieder meiner Mutter nützten mir allerdings in dem Moment rein gar nichts, denn in keinem einzigen kam auch nur im Entferntesten so etwas wie ein Sheriff vor. Also überlegte ich, welche Lieder ich denn schon im Kindergarten gelernt hatte. Das waren auch nicht gerade wenige. Aber während ich die Texte in Gedanken durchging, wurde mir bewusst, dass sie eigentlich fast alle von Tieren handelten. Häschen in der Grube, Fuchs, du hast die Gans gestohlen, Alle meine Entchen, Wir Fröschelchen – alles tolle Lieder, aber auch keine Silbe über Sheriffs oder Banditen. Ich war mit meinem Liederrepertoire und damit auch mit meinem Latein schon fast am Ende, als mir der rettende Einfall kam.

Dickel-Dackel-Duckelhund! Da hatte ich doch mein Sherifflied! Nun hör aber auf!  Was ein Dackel mit einem Sheriff zu tun hat, fragst du ernsthaft? Ich hab es dir doch inzwischen schon so oft erklärt: Ein Sheriff ist so etwas Ähnliches wie ein Polizist. Und Polizisten haben oft Hunde. Nun, vielleicht nicht grade Dackel, aber in der Not darfst du auch nicht übergenau sein. Ich konnte schließlich auch nicht zu viel Zeit mit der Suche nach dem passenden Lied verschwenden, es war doch schon fast Mittag. Also kletterte ich von meinem Baumhaus herunter und machte mich laut singend auf den Weg zurück zum Graben. Dort an der Teerstraße zum Deich, wo die vielen Pappeln standen, die mein Vater vielleicht selber gepflanzt hatte. Na, du weißt schon.

„Dickel-Dackel-Duckelhund, frisst am Tag zwei Zentner und wiegt sechs Pfund!“, sang ich auf dem Weg laut und voller Inbrunst. Und es wirkte! Es wirkte genauso, wie ich es mir erhofft hatte. Ich war da, ich war laut und ich hatte keine Angst. Das konnte jeder, egal ob Bandit oder nicht, in ganz Ammerswurth jetzt hören. Allen voran ich selbst. Mit jeder Zeile fühlte ich mich mutiger. Als ich schließlich am Graben angekommen war, wusste ich sofort, welches der richtige Platz war, den Banditen aufzulauern. Ich habe dir ja schon mal erzählt, dass ich unser Dorf wie meine Westentasche kannte. Jede Blume, jeden Stein und auch jeden guten Kletterbaum. Und einer davon stand direkt zwischen den Pappeln am Graben neben der Teerstraße, auf dessen anderer Seite sich das Weizenfeld befand.

Es war wirklich ein richtig guter Kletterbaum und nicht so einer wie der alte Apfelbaum auf der Obstwiese. Der war zwar eigentlich auch ganz gut, aber leider nur in eine Richtung. Nach oben kamst du wirklich leicht, aber leider gar nicht mehr herunter. Dieser Haken an der Sache wurde mir leider erst bewusst, als ich einmal ziemlich hoch in den Apfelbaum geklettert war. Die Aussicht von da oben war hervorragend und es gab einen Ast, auf dem du sogar recht bequem sitzen konntest. Das war mein Glück, denn ich hatte an dem Tag viel Zeit, die Aussicht über Ammerswurth zu genießen. Runterklettern war unmöglich. So angestrengt ich es auch versucht hatte, meine Füße konnten keinen der tieferen Äste erreichen und zum Herunterspringen war es auch viel zu hoch.

Also blieb mit nichts anderes übrig, als geduldig darauf zu warten, dass mich jemand vermissen und sich auf die Suche nach mir machen würde. Und glaub mir, das konnte dauern! Meine Eltern waren daran gewöhnt, dass ich stundenlang außer Sichtweite war und an irgendwelchen versteckten Plätzen spielte.  So saß ich also gefangen oben im Apfelbaum und wartete und wartete. Irgendwann während des langen Wartens schwor ich mir, nie wieder zu versuchen, in diesem Baum bis ganz nach oben zu klettern. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam meine Mutter dann schließlich doch noch. Zum Glück, denn langsam wurde auch der vormals bequeme Ast ziemlich ungemütlich. Sie holte eine Leiter aus dem Stall und befreite mich aus meiner misslichen Lage. Das war übrigens das einzige Mal in meinem Leben, dass ich sah, wie meine Mutter auf einen Baum kletterte. Zumindest soweit ich mich erinnere. Also war das eigentlich eine richtig spektakuläre Sache. In dem Moment war ich aber einfach nur froh, endlich von diesem Apfelbaum herunterzukommen. Deshalb habe ich ihre tolle Kletterleistung damals überhaupt nicht ausreichend gewürdigt. Das sollte ich unbedingt noch nachholen.

Aber zurück zum Graben! Der Kletterbaum dort zwischen den Pappeln war ganz anders als der Apfelbaum. Bei dem konnte gar nichts schief gehen. Weder beim Hoch- noch beim Runterklettern. Es handelte sich um eine alte Weide, deren dicken Stamm jemand schon vor langer Zeit abgesägt hatte. Inzwischen waren hinter dem Stumpf, der wohl einen Meter hoch war, mehrere neue Weidenstämme gewachsen. Ich kletterte auf den dicken Stumpf und machte es mir bequem. Und es war wirklich gemütlich da oben. Du konntest dich mit dem Rücken an die Weidenstämme hinter dir anlehnen. Ich fühlte mich immer fast wie ein König auf seinem Thron, wenn ich dort saß und die ganze Teerstraße mit den spitzen Steinen überschaute.

An dem Tag, an dem ich Sheriff war, drehte ich mich aber in die andere Richtung und lugte durch die eng zusammenstehenden Weidenstämme. So konnte ich über den Graben hinweg auf das Kornfeld blicken, ohne dass mich ein Bandit hätte sehen können, der sich durch das hohe Getreide anzuschleichen versuchte. Mit dem Singen hatte ich natürlich inzwischen aufgehört. Zum einen hatte das Lied ja schon geholfen, ich fühlte mich wieder mutig genug und zum anderen wollte ich mich schließlich nicht verraten. Ich suchte das ganze große Feld mit den Augen ab, aber keine Ähre bewegte sich. Es war ein ganz windstiller Tag, wie du ja weißt, und eine verdächtige Bewegung  oder ein Rascheln im Weizen wären mir natürlich sofort aufgefallen. Aber das Feld lag still und unbewegt in der Mittagssonne. Kein Bandit weit und breit. Was ist schon ein Sheriff, wenn keine Banditen kommen? Das fragte ich mich in dem Moment und dachte an die leere Gefängniszelle im alten Plumpsklo, die auf ihren Einsatz wartete, und an meine tolle Pistole, die ich erst einmal hatte benutzen können. Und das war dann ja zu allem Überfluss auch noch falscher Alarm gewesen. Ach, das Sheriff-Sein war schon nicht einfach. Für diesen Beruf brauchte man wirklich eine Menge Geduld.

So saß ich also da in der Weide und wartete und wartete. Das war fast ein bisschen so langweilig, wie das Warten auf meine Mutter oben auf dem alten Apfelbaum. Doch plötzlich fuhr ich wie vom Donner gerührt zusammen! Hufgetrappel! Ein Pferd! Nein, definitiv mehrere Pferde! Ich hörte es ganz deutlich. Mehrere Pferde näherten sich mir vom Deich kommend auf der Teerstraße. Aha! Die Banditen waren also im Anmarsch. Noch konnte ich sie nicht sehen, weil die Straße hinter dem Hof unserer Nachbarn eine kleine Biegung machte, aber es war eindeutig. Gleich eine ganze Banditenbande ritt auf mich zu. Genauso wie in den alten Western kamen sie zu Pferd und nicht etwa auf Fahrrädern oder Rasentreckern, wie ich es vorher schon mal fälschlich vermutet hatte. Gleich würden sie ahnungslos um die Kurve kommen. Mit mir, dem Sheriff von Ammerswurth, rechneten sie garantiert nicht. Ich hielt meine Pistole fest in der Hand, ging in die Hocke und machte mich bereit zum Absprung von der Weide auf die Teerstraße. Die sollten was erleben! Das würde der Schrecken ihres Lebens werden, wenn ich plötzlich wie aus dem Nichts direkt vor ihnen auf der Straße landete und laut mit meiner Pistole in die Luft schoss.

Sie würden augenblicklich vor Schreck erstarren und sich widerstandlos ergeben. Vielleicht würden aber auch ihre Pferde scheuen, laut wiehern, sich hoch aufbäumen und die ganze Bande abwerfen. Das wäre ja sogar noch besser! Ich musst fast laut loslachen, als ich mir vorstellte, was für verdatterte Gesichter die Banditen machen würden, wenn sie plötzlich alle mit dem Po auf den spitzen Steinen landen und einen echten Sheriff vor sich sehen würden. Oder etwas ganz anderes würde passieren. Ach, Sheriff-Sein war doch ganz schön spannend! Egal, was nun kam, es würde richtig aufregend werden, das war ganz klar.

Wurde es dann auch, bloß ganz anders, als ich es mir ausmalte, während ich zum Sprung ansetzte. Und wie aufregend! Noch viel aufregender, als mit lieb war. Zum Glück wusste ich das in dem Moment noch nicht und konnte noch einen kurzen Augenblick die Vorfreude auf das große Abendteuer genießen, bevor alles richtig gruselig wurde. Diese kurze Vorfreude, die ich damals hatte, teile ich gerne mit dir, bevor ich dir dann beim nächsten Mal erzähle, was dann wirklich geschah, als die Bande zu Pferde um die Ecke kam.

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Sheriff für einen Tag Teil 5 – Wie die Banditenjagd weiterging

Sheriff für einen Tag Teil 5
– Wie die Banditenjagd weiterging

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Sheriff für einen Tag Teil 5, Geschichte von mein Blattwerk

Nun soll es also weitergehen mit der Geschichte, wie ich mal Sheriff war. Ich hab dich ja bereits vorgewarnt, dass es diesmal vielleicht nicht ganz so vergnüglich wird. Aber es ist nun mal eine wahre Geschichte und ich möchte nichts beschönigen. Sie begab sich nun einfach mal so und muss auch genauso erzählt werden.

Ich sprang also vom Baumhaus und rief dabei so laut ich konnte: „Ha, hab ich dich!“ Da waren wir stehengeblieben, richtig? Ab diesem Moment ging einfach alles schief. Zunächst mal misslang meine Landung unter dem Apfelbaum gründlich. Natürlich hatte ich auf meinen beiden Füßen landen, direkt zum Gartenzaun weiterrennen und dort den Banditen stellen wollen. Stattdessen fiel ich aber auf meine Knie und das nicht etwa im weichen Gras, sondern da, wo die Schaukel hing, unter der die Erde ganz hart war und wo zu allem Unglück auch noch einige Steine lagen.

Eigentlich wäre es von vornherein absehbar gewesen, dass dieser Sprung eine wirklich waghalsige und gefährliche Sache sein würde. Mein Baumhaus war nämlich ziemlich hoch, sicher einen ganzen Meter oder sogar noch ein wenig höher. Bei der Treppe in unserem Haus konnte ich schon locker von der dritten Stufe nach unten springen, bei meinem Klettergerüst sogar  von der fünften. Aber von ganz oben aus dem Baumhaus zu springen, das war dann doch etwas ganz anderes.

Ein Meter ist doch nicht hoch, meinst du? Naja, zum einen sagte ich ja, mein Baumhaus sei vielleicht auch etwas mehr als einen Meter hoch gewesen und zum anderen ist fast alles hoch, wenn du so klein wie ein Kindergartenkind bist. Du brauchst zum Beispiel einen Stuhl, um an die Becher oben im Küchenschrank zu kommen oder an die interessanten Bücher in den oberen Regalen im Wohnzimmer. Selbst in meinem Kinderzimmer musste ich immer klettern, um an meine Spielsachen zu kommen. Ich hatte so einen Schrank, der aus zwei Teilen bestand, die einfach aufeinander gestellt waren. Wenn ich etwas aus dem oberen Teil brauchte, musste ich auf den unteren steigen, um die Türen öffnen zu können.  Der untere Teil war nicht einmal einen halben Meter hoch und der obere wohl auch nur etwa einen Meter. Trotzdem wäre diese Höhe mir und meiner kleinen Schwester einmal fast zum Verhängnis geworden.  Ich erzähl dir mal, wie das war, damit du verstehst, wie gefährlich Springen und Klettern schon bei nur einem Meter sein können.

An dem Tag spielte ich mit meiner Schwester, die wirklich noch sehr klein war, fast noch ein Baby, in meinem Zimmer. Irgendwann brauchten wir plötzlich dringend etwas von da  oben aus meinem Schrank. Also stieg ich wie gewohnt auf den unteren Teil, hielt mich mit einer Hand an der einen linken oberen Tür fest und versuchte, mit der anderen die rechte zu öffnen. Da fing auf einmal der ganze obere Schrank an zu wackeln. Schließlich kippte er einfach vom unteren Schrankteil herunter und  riss mich mit. Ich stürzte zu Boden, halb auf meine kleine Schwester und alle Spielsachen fielen uns unter lautem Poltern auf den Kopf. Aber der schwere Schrank, der eigentlich auch direkt auf uns hätte krachen müssen, blieb kurz über unseren Köpfen stehen. Nur ein paar Zentimeter mehr und er hätte uns wahrscheinlich schwer verletzt, aber er rührte sich nicht mehr. Alles war totenstill.

Ich war ganz verdattert und brauchte einen Moment, um zu begreifen,  was eigentlich passiert war. Als  der Schrank nach vorn kippte, waren seine beiden Türen aufgeflogen. Diese hatten dann als erstes den Boden berührt und genau auf den Kanten der Türen war das Möbel zum Stehen gekommen. Dadurch war eine kleine Lücke zwischen Boden und Schrank entstanden, in der meine Schwester und ich nun in einem Berg von Spielzeug lagen.  Meine Schwester begann  wie am Spieß zu brüllen und nur Sekunden später kam meine Mutter kreidebleich ins Zimmer gestürzt. So schnell war sie wohl noch nie die Treppe heraufgerannt, wie an diesem Tag. Sie zog sofort unter aufgeregten Ohgoddgodd-Rufen meine kleine Schwester unter dem Schrank hervor und untersuchte sie auf etwaige Verletzungen. Bis auf das knallrote Gesicht, das sie aber immer hatte, wenn sie so laut schrie, fehlte ihr nichts. Ich konnte allein aus dem Spielzeugberg unter dem Schrank herauskrabbeln und abgesehen von der Tatsache, dass ich immer noch etwas verdattert war, fehlte auch mir nichts.

„Da habt ihr wirklich großes Glück gehabt!“, sagte meine Mutter schließlich erleichtert. Abends kam dann mein Vater mit einer Bohrmaschine in mein Zimmer und bohrte zwei richtig große Löcher. Erst eins durch die ganze Wand und dann eins durch die Rückwand meines Schrankes. Er stellte ihn wieder an seinen Platz, nahm eine ganz lange, dicke Schraube und steckte sie durch die Löcher, so dass sie auf dem Dachboden wieder herauskam. Dort drehte er eine große Mutter auf die Schraube und damit stand der Schrank bombenfest und konnte nie mehr umkippen, egal wie viel ich auf ihm herumkletterte. Vielleicht kann man das Loch in der Wand auf dem Dachboden in Ammerswurth sogar heute noch sehen.

Du siehst also, ein Meter ist gar nicht wenig, wenn man ein Kindergartenkind ist – egal ob es nun einen Meter nach oben oder, wie beim meinem Sprung aus dem Baumhaus, nach unten geht. Ich war deshalb nun also statt auf den Füßen auf den Knien gelandet und hatte mir zu allem Überfluss eins davon an einem Stein aufgeschürft. Das war an sich nicht weiter schlimm, denn als ich klein war, hatten alle Kinder immer kaputte Knie mit Schorf drauf. Man fiel ja beim Rennen, Rad fahren, Rollschuh laufen und all den anderen Sachen andauernd hin. „Stellen“ nannten wir das. Wer eine richtig schöne, besonders große Stelle hatte, zeigte sie stolz den anderen und wurde auch mächtig dafür bewundert.

Meine allerbeste Stelle habe ich übrigens damals bekommen, als mein Vater und ich den Unfall hatten. Mein Vater hatte sich ein Rennrad gekauft. Er fuhr, genau wie ich, sehr gerne Rad und das richtig weit und schnell. Deshalb hatte er sich so ein Rennrad gewünscht, um noch schneller fahren zu können. Es war grün, hatte nur ganz dünne Reifen und einen Lenker, bei dem die Griffe so komisch umgebogen waren. An dem Tag, als wir den Unfall hatten, wollten wir beide zusammen auf dem Rennrad fahren. Bei normalen Fahrrädern geht das ja auch ganz einfach. Einer sitzt auf dem Sattel, der andere auf dem Gepäckträger und hält sich gut am Vordermann fest. So haben wir das immer gemacht, aber bei dem neuen Rennrad ging das nicht. Es hatte nämlich gar keinen Gepäckträger. Also setzte mein Vater mich einfach auf die Stange und so fuhren einmal rund um Ammerswurth, auf der Teerstraße mit den piksigen Steinen, die du ja kennst.

Das klappte ganz gut, bis wir schon fast wieder zu Hause waren. Doch dann, genau vor dem Haus unserer  Nachbarn Onkel Werner und Tante Marga, geschah dann der Unfall. Die Stange, auf der ich saß, brach plötzlich, vollkommen unvermittelt in der Mitte durch und mein Vater und ich stürzten beide  mitsamt dem Rennrad auf die Teerstraße. Dabei schlitterte ich mir dem Gesicht über die spitzen Steine und schürfte mir die ganze Wange auf, die ordentlich blutete.

Wir waren beide ganz verdattert, rappelten uns auf uns machten uns schweigend mit dem kaputten Rennrad zu Fuß auf den Weg nach Haus. „Ich staune ja, wie tapfer du bist.“, sagte mein Vater, der wohl überrascht war, dass ich gar nicht weinte. Das tat ich auch nicht, bis meine Mutter uns kommen sah, die Lage erfasste und uns unter lautem Ohgoddogodd-Rufen aufgeregt entgegen lief. Da wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert war und begann natürlich sofort ganz schrecklich zu weinen. Mein Vater runzelte nur die Stirn und schob das kaputte Rennrad in den Stall, während meine Mutter mich tröstete.

Aber am nächsten Tag im Kindergarten war ich die Attraktion. Meine Wange blutete inzwischen längst nicht mehr, sie war richtig schön dick verschorft. So eine tolle, große Stelle und dann noch mitten im Gesicht – das war ja was! Alle Kinder wollten genau wissen, wie das passiert war und ich dachte mir extra für jeden eine andere spannende Geschichte aus. Das mit dem Rennrad war ja nicht so wirklich aufregend und eine tolle Stelle musste natürlich von einem richtigen, echten Abenteuer herrühren. Ich gab mir alle Mühe, wirklich viele Banditen und gefährliche Kämpfe in die Geschichte zu meiner verschorften Wange einzubauen. Das Rennrad ließ mein Vater übrigens später vom Schmied reparieren, aber zusammen darauf gefahren sind wie nie mehr.

Das mit dem aufgeschürften Knie war also nicht das Schlimme, wie du siehst. Das Schlimme war, dass ich meine Pistole fallen gelassen hatte. Nun würde mir der Bandit doch gewiss entwischen! So schnell ich konnte rappelte ich mich auf und blickte mich nach meiner Holzpistole um, die zum Glück direkt neben mir unter der Schaukel lag. Ich griff nach ihr und stürzte zum Gartenzaun,  um den Banditen aufzuhalten, der sich mit seinem Fahrrad genau vor mir befand.

Ich schoss mehrfach mit lautem „Peng! Peng!“ in die Luft, um ihn ordentlich zu erschrecken und zum Anhalten zu bewegen. Das tat er aber nicht, egal wie laut ich schoss. Er drehte nur für eine Sekunde den Kopf und blickte mich wortlos mit seinem maskierten Gesicht an, bevor er unbeirrt seine Fahrt Richtung Meldorf fortsetzte. Ich aber stand wie angewurzelt am Gartenzaun,  unfähig mich zu rühren und starrte dem Banditen nach, der sich rasch entfernte und immer kleiner wurde, bis er schließlich aus meinem Blickfeld verschwand.

Los, Verfolgung aufnehmen! Hol doch endlich dein kleines, grünes Rad und den Strick zum Fesseln und nichts wie hinterher! Ja, ich hör, dich ja. Aber glaub mir, das wäre sinnlos gewesen. Absolut sinnlos und noch peinlich obendrein. Ich stand noch eine Weile regungslos am Zaun. Schließlich drehte ich mich um, kletterte langsam und vorsichtig zurück in mein Baumhaus und versteckte mich wieder hinter dem Stamm des Apfelbaums. Diesmal allerdings nicht, um jemandem aufzulauern, sondern vielmehr, um mich zu verkriechen, weil alles so schrecklich peinlich war.

Was denn nun so schrecklich peinlich war, fragst du? Nein, es war nicht die Tatsache, dass der Bandit einfach weitergefahren war und nicht auf das Schießen und Rufen eines echten Sheriffs mit einem echten Sheriffstern gehört hatte. Nein, das war es ja gar nicht, obwohl das natürlich auch ein bisschen peinlich gewesen wäre, das gebe ich zu. Es war tatsächlich noch viel schlimmer. Es war nämlich das, was ich sah, als er kurz seinen Kopf zu mir drehte und ich unter das Tuch blicken konnte, mit dem sein Gesicht maskiert war.

Lass es mich so anfangen, und es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden, also, erst einmal, war der Bandit gar kein „Er“, er war eine „Sie“. Das hatte ich deutlich erkennen können. Und das Taschentuch, das der Bandit sich vor das Gesicht gebunden hatte, wie es alle Banditen machen, war auch gar kein Taschentuch. Es war ein Kopftuch, nämlich so ein Kopftuch, wie es damals fast alle alten Frauen trugen, egal ob es nun ein warmer Sommertag oder eisiger Winter war. Sie hatten immer ihre Kopftücher auf, zu denen sie so komisch gemusterte Kleider trugen, die wie Geschirrhandtücher aussahen, braune Strumpfhosen und weiße Latschen. Ich glaube, ab einem bestimmten Alter musste man sich entweder so anziehen oder alle alten Frauen hatten einfach den gleichen eigenen Geschmack. Hosen trugen alte Frauen jedenfalls nie.

Also kurzum, ich will nicht länger um den heißen Brei herumreden, mein vermeintlicher Bandit war gar keiner, sondern nur eine alte Frau mit Kopftuch auf einem Fahrrad. Sie fuhr so weit vornübergebeugt, als müsse sie sich gegen einen starken Wind anstemmen, obwohl es an dem Tag ganz und gar windstill war. Deshalb hatte es so ausgesehen, als habe sie das Tuch vor dem Gesicht und deshalb hatte ich sie fälschlicher Weise für einen Banditen gehalten und losgeschossen. Was diesen Irrtum aber noch peinlicher machte, als er ohnehin schon war, ist, dass ich die alte Frau auch noch kannte und sie mich umgekehrt natürlich auch. Mindestens einmal in der Woche kam sie zu uns nach Hause, mit ihrem Fahrrad und ihrem Kopftuch. Ich hätte sie also eigentlich sofort erkennen müssen, auch aus großer Entfernung. Aber ich war wohl so auf die Banditen konzentriert gewesen, dass ich wirklich niemand anderes zu sehen erwartet hatte, als eben einen echten Banditen. Fast hätte ich in diesem Moment auch so etwas wie „Ohgoddogod“ rufen mögen.

Was sollte die Frau nun von mir denken, wenn ich da am Gartenzaun stand und einfach um mich schoss? Was würde sie meiner Mutter erzählen, wenn sie das nächste Mal zu uns kam? Und was würde die dann dazu sagen? Das war alles so schrecklich peinlich und nach Ärger sah es obendrein aus. Ich hockte also zerknirscht in meinem Baumhaus, schämte mich und dachte über alle peinlichen Sachen nach, die ich bisher in meinem Leben erlebt hatte. Und das waren nicht wenige, denn mir war andauernd irgendetwas peinlich. Wenn ich etwas nicht wusste, war mir das schon sehr unangenehm und wenn ich etwas nicht oder nicht richtig verstand, wurde es noch schlimmer mit dem Sich-peinlich-Fühlen und dann womöglich noch etwas Dummes zu sagen, was das Allerpeinlichste überhaupt.

Die peinlichste Sache, die mir an diesem Tag oben im Baumhaus einfiel, war damals noch gar nicht lange her. Inzwischen liegt sie schon über 40 Jahre zurück und ich erinnere sie trotzdem noch haargenau. Daran siehst du, wie schrecklich peinlich sie gewesen sein muss. Es war an einem Sonntag. Ich war gerade fünf Jahre alt geworden und natürlich mächtig stolz darauf.  Sonntagmorgens ging mein Vater manchmal in die „Wirtschaft“.  Das war eine kleine Stube in einem Gasthaus, die eigentlich mehr aussah wie das Wohnzimmer einer alten Frau. Sie war voller alter, dunkler Möbel und auf dem großen runden Tisch, der in der Mitte des Raumes stand, lagen eine große weiße Decke und oben drauf noch mehrere kleine Deckchen mit gehäkelten Spitzen.

Ab und zu nahm mein Vater mich mit, wenn er in die Wirtschaft ging.  Er trank dort einen Kaffee und redete mit anderen Männern. Frauen waren dort nie, andere Kinder auch nicht. So spannend war das Ganze also nicht, aber zumindest bekam ich immer die beiden Zuckerstückchen von meinem Vater, die es zu dem Kaffee dazu gab. Er mochte keinen Zucker im Kaffee, was eigentlich merkwürdig ist. Du weißt ja, dass er Käsebrot mit Marmelade mochte und immer ganz viel Zucker auf seinen Grünkohl streute. Seinen Kaffee aber, den mochte er komischerweise aber am liebsten so bitter wie Kaffee nun mal schmeckt. Warum auch immer das so war, ich freute mich selbstverständlich darüber, etwas Süßes zu bekommen.

Dann saß ich da auf einem großen, alten Stuhl am Tisch mit den vielen Spitzendeckchen, lutschte an den Zuckerwürfeln, guckte mich in der kleinen Stube um und hörte manchmal ein bisschen zu, was die Männer so redeten. Meistens sprachen sie dabei Plattdeutsch. Das konnte ich zwar recht gut verstehen, aber nicht sehr gut sprechen, denn meine Eltern redeten immer nur mit anderen Leuten Platt. Bei uns zu Hause wurde nur Hochdeutsch gesprochen. An diesem einen Tag, an dem es so peinlich wurde,  kam das Gespräch zwischen einem Mann und meinem Vater plötzlich auf mich. „Wo oolt is de lütte?“, fragte der Mann in meine Richtung nickend. Das allein war schon unangenehm für mich. Ich fühlte mich immer komisch, wenn Erwachsene so taten, als seist du gar nicht anwesend oder könntest nicht selber sprechen. Das war ein bisschen so, als würdest du einen Hundebesitzer auf der Straße fragen: „Na, wie heißt denn der Kleine?“ Da ist das ja auch richtig so. Hunde können schließlich nicht verstehen, was du da fragst und selber antworten natürlich auch nicht. Ich hätte das aber sehr wohl gekonnt. Ich war ja kein Hund.

Dieser Mann hatte meinen Vater gefragt, wie alt ich denn sei. Das hatte ich trotz des Plattdeutschs sehr wohl verstanden und wie alt ich war, wusste ich auch haargenau. „Fief.“, antwortete mein Vater. Ja, und das Wort hab ich dann falsch verstanden.  Für mich klang es ganz eindeutig nach „vier“, was ja ganz falsch gewesen wäre, wo ich doch gerade Geburtstag gehabt hatte und nun viel älter war als bloß vier Jahre. „Papa!“, rief ich empört, „Ich bin doch nicht mehr vier, ich bin fünf!“ Beide Männer schauten mich an und begannen laut zu lachen. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sagte mein Vater nur kurz: „Das hab ich doch gesagt.“ Dann wandten sich beide wieder ihrem Gespräch zu und beachteten mich nicht weiter. Ich aber wäre am liebsten im Erdboden versunken, hätte angefangen zu weinen oder wäre auf der Stelle nach draußen gerannt. Stattdessen blieb ich aber einfach still sitzen und tat und sagte nichts mehr.

Ich kam mir so unendlich klein und dumm vor und vorlaut noch dazu, denn ich war ja nicht nur dumm gewesen, ich hatte auch noch etwas richtig Dummes gesagt und damit verraten, wie dumm ich war. Und ausgelacht hatten sie mich natürlich auch noch dafür! Das war das schlimmste peinliche Gefühl, das ich bis dahin in meinem ganzen Leben gehabt hatte.

Daran und an andere solch schreckliche Momente dachte ich in meinem Baumhaus und fühlte mich immer weniger, wie ein mutiger Sheriff und immer mehr, wie ein peinliches, dummes, kleines Mädchen. Ich blickte auf meine Pistole, ich betrachtete meinen Sheriffstern, der an meiner Sheriffhose silbrig glänzte. War nun alles aus? Sollte ich lieber in der Sandkiste Törtchen backen oder mir eine kleine Hütte bauen und so tun, als sei ich der Hund, der darin wohnt?  Nein, so konnte das doch alles nicht ausgehen. Wenn nur dieses peinliche Gefühl nicht wäre! Irgendwie musste ich das doch loswerden können.

Ich war ja vielleicht dumm, aber trotz allem war ich doch immer noch ein Sheriff! Und ein Sheriff kann ja nicht einfach aufgeben, nur weil etwas mal nicht klappt oder sogar peinlich ist. So richtig konnte ich mein Selbstbewusstsein zwar noch nicht wiederfinden, aber wenigstens einen Versuch wollte ich doch noch wagen. Zumindest ein Bandit musste doch zu schnappen sein. Die Gefängniszelle im alten Pumpsklo war noch frei und wenigstens hatte ich ja nicht irrtümlich die alte Frau darin eingesperrt. Das war ja immerhin etwas Gutes.  Dann wäre schließlich alles noch viel peinlicher geworden.  Ich atmete einmal tief durch, griff nach meiner Pistole und machte mich bereit. Diesmal würde ich alles richtig machen, nahm ich mir vor.

Das war heute wohl für mich der schwierigste Teil beim Erzählen der ganzen Geschichte. Wahrscheinlich, weil das Sich-peinlich-Fühlen  eine schlimme Sache ist, gegen die du so wenig tun kannst. Das kann noch viel schlimmer sein, als zum Beispiel Angst. Wenn du dich fürchtest, kannst du ja weglaufen, dich verstecken oder jemanden bitten, dich zu beschützen. Das peinliche Gefühl aber, vor dem kann man nicht fliehen oder sich davor verstecken, nicht einmal in einem Baumhaus, das über einen Meter hoch ist. Und beschützen kann dich auch niemand davor. Damit bist du ganz auf dich allein gestellt und kannst nur versuchen, dich davon nicht unterkriegen zu lassen. Wie ich das damals versucht habe, erzähle ich dir beim nächsten Mal.

Dein Blattwerk

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Sheriff für einen Tag Teil 4 – Wie ich Jagd auf Banditen machte

Sheriff für einen Tag Teil 4
– Wie ich Jagd auf Banditen machte

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Titelbild Sheriff für einen Tag Teil 4

Absolut richtig, ein großes Sheriff-Ehrenwort ist so was Ähnliches wie ein Indianer-Ehrenwort. Beide darf man nicht brechen. Und da ich dir ja mein großes Sheriff-Ehrenwort darauf gegeben habe, dir bald  von meiner Jagd auf die Banditen zu erzählen, fange ich nun auch direkt und ohne Umschweife damit an.

Du erinnerst dich, es war alles gründlich vorbereitet. Ich war Sheriff, hatte meinen Sheriffstern an meiner Sheriffhose, mein kleines grünes Kinderrad stand parat für eventuelle Verfolgungsjagden und hatte ganz sicher keinen platten Reifen. Zu guter Letzt hatte ich dann endlich auch noch eine geeignete Pistole gefunden, um die Banditen so richtig zu erschrecken. Genau, das war das mit den „Stöckern“, die kennst du ja zum Glück inzwischen. Also auf zur Banditenjagd!

Da es ja mein erster Arbeitstag war, hatte ich noch nicht sonderlich viel Erfahrung mit dem Sheriff-Sein und dem Aufspüren von Banditen. Wie also beginnen? Ich dachte, es sei doch eine gute Idee, sich erst mal einen Überblick zu verschaffen. Von wo aus würde das wohl am besten gehen? Natürlich von meinem Baumhaus aus! Von dort oben konnte ich fast unendlich weit gucken. Also würde ich auch jeden herannahenden Banditen schon von weitem sehen.

Die Sonne stand inzwischen schon ziemlich hoch und wahrscheinlich war es nicht mehr lange hin, bis meine Mutter mich zum Mittagessen rufen würde. Ich hatte an diesem Morgen schon viel zu viel Zeit verloren und musste mich nun wirklich beeilen. Also steckte ich mir meine hölzerne Pistole in den Hosenbund und rannte so schnell ich konnte in den Garten vor unserem Haus, wo auch der Apfelbaum stand, in dem sich mein Baumhaus befand. Natürlich musste ich das Rennen einmal kurz unterbrechen, um über die Teerstraße mit den kleinen,  gemeinen spitzen Steinen zu kommen, ohne mir an den nackten Füßen weh zu tun, aber das weißt du ja eigentlich, auch ohne dass ich es extra erwähnen müsste.

Zum Baumhaus hinauf  führte eine Hühnerleiter mit acht Sprossen. Manche meine Freunde fanden es schwierig, sie nach oben zu klettern. Mir hingegen gelang es schnell und mühelos, aber ich hatte natürlich auch reichlich Übung darin. Schließlich war es ja mein Baumhaus. Und es war der perfekte Beobachtungsposten,  denn der Apfelbaum, der es trug, stand direkt am Gartenzaun, der unser Grundstück von der großen Hauptstraße und dem daneben verlaufenden Radweg trennte. Hinter dem Stamm des Apfelbaums konntest du dich prima verstecken, trotzdem die ganze Straße im Blick behalten und im Notfall auch ganz schnell am Radweg sein, um einen Banditen zu stellen. Links reichte mein Blick bis nach Meldorf, der zweitgrößten Stadt die ich kannte,  mit dem hohen Turm des Meldorfer Doms. Ich suchte die ganze Strecke mit den Augen ab, aber nichts und niemand war zu sehen. Also drehte ich den Kopf nach rechts, zu der Seite konnte ich ganz bis nach Elpersbüttel schauen.

Elpersbüttel war auch ein Dorf, genau wie Ammerswurth, nur viel, viel größer. Es hatte sogar eine kleine Grundschule, in der Tante Erika Lehrerin war. Tante Erika war nicht meine Tante, aber sie hieß trotzdem so. Das war damals übrigens bei vielen Erwachsenen der Fall, mit denen meine Eltern gut bekannt oder befreundet waren. Tante Erika arbeitete aber nicht nur in der Schule, nein, sie wohnte sogar in ihr. Ihre Tochter hatte es so gut! Ihr Kinderzimmer hatte nämlich eine Tür, die direkt in einen der Klassenräume führte. So konnte sie richtig toll Schule spielen, wann immer sie Lust dazu hatte. Seit sie aber eingeschult worden war, machte sie das gar nicht mehr so oft. Wahrscheinlich machte die echte Schule einfach noch mehr Spaß, als das Schulespielen. Ich war schon ein bisschen neidisch auf sie.

Außer Tante Erikas Schule gab es in Elpersbüttel auch noch zwei Geschäfte. Einen Schlachter, bei dem du immer ein Würstchen geschenkt bekamst, wenn du im Laden warst und einen Bäcker, der Bäcker Timm hieß. Dort kauften wir immer zwei Brote, ein helles und ein dunkles. Das helle hieß „Stuten“ und das dunkle „Schwarzbrot“.  Damals gab es noch nicht so viele verschiedene Brote und sie hatten auch keine so komplizierten Namen wie heute, wo sie in jedem Bäckerladen unterschiedlich heißen und du dich zwischen unzähligen Sorten wie Weltmeister-, Fitness-, Vitalbrot oder Dinkelwonne entscheiden musst. Und glaub mir, der Stuten und das Schwarzbrot, das Bäcker Timm in der Backstube direkt hinter dem kleinen Laden buk, waren das köstlichste Brot auf der Welt. Nie wieder in meinem Leben habe ich so ein gutes Brot gegessen. Meist war es noch warm, wenn meine Mutter es zu Hause in der Küche auspackte.

Mein Vater und ich lauerten dann meist schon darauf, ein Stück von dem frischen Brot zu bekommen. Ich mochte am allerliebsten den Knust von dem warmen Schwarzbrot mit ein bisschen Butter darauf. Was ein Knust ist? Na, das erste Stück, das du von einem Brot abschneidest. Das sieht doch ganz anders aus als eine normale Brotscheibe und heißt deshalb natürlich auch anders. Der Knust von einem ganz frischen Schwarzbrot ist auf der einen Seite ganz knusprig und auf der anderen ganz weich und saftig. Und wenn dann die Butter auf der weichen Seite des warmen Knusts schmilzt, biegt er sich nicht so durch wie es bei jedem anderen Stück des gleichen Brotes wäre. Ich sage dir, es gibt nichts Besseres.

Mein Vater mochte allerdings am Liebsten seine Doppelschnitte.  Dazu machte er sich immer eine Scheibe Stuten mit Butter und Erdbeermarmelade zurecht  und eine Scheibe Schwarzbrot mit Butter und Käse. Anschließend legte er beide aufeinander und biss sofort ein großes Stück seiner Doppelschnitte ab. Mir kam die Kombination aus Käse und Marmelade zwar immer etwas merkwürdig vor, aber bei meinem Vater brauchte einen so etwas nicht weiter zu wundern. Er hatte einfach seinen ganz eigenen Geschmack, schließlich streute er sich auch immer mehrere Löffel Zucker über seinen Grünkohl und sogar über sein Schwarzsauer und versicherte mir, so würde ihm das einfach am besten schmecken.

Es war eigentlich ganz praktisch, dass unsere Vorlieben ein bisschen unterschiedlich waren, wenn um das perfekte Brot ging, denn so mussten wir uns schließlich nicht um den Knust streiten. Das einzig Schwierige war, meine Mutter davon zu überzeugen, überhaupt etwas von dem frischen Brot herauszurücken. „Von warmem Brot bekommt ihr Bauchschmerzen!“, drohte sie immer. Am Ende gab sie dann aber doch nach und wir bekamen unseren Knust und unsere Doppelschnitte und zumindest ich für meinen Teil habe nicht ein einziges Mal Bauchschmerzen davon bekommen.

Was das mit den Banditen zu tun hat, fragst du? Ja, du hast ja Recht, nicht mehr, als dass ich damals eben in die Richtung schaute, aus der unser Brot kam. Ich komme auch sofort zur Banditenjagd zurück, aber eine Sache über Timms Laden muss ich dir vorher doch noch ganz kurz erzählen.  Soviel Zeit muss sein. Außer dem besten Brot der Welt gab es dort nämlich noch etwas anderes. Während Bäcker Timm hinten seine Brote buk, stand seine Frau, die erstaunlicherweise genau wie er „Timm“ hieß, vorne im Laden am Tresen. Hinter ihr an der Wand hingen viele Regale mit den unterschiedlichsten Waren, die du heute in einem Bäckerladen sicher nicht unbedingt erwarten würdest, Dosen mit Erbsen und Wurzeln, zum Beispiel, oder auch so was wie Bleistifte und Radiergummis. Viel interessanter aber ist, was Frau Timm vor sich hatte. Dort auf der Ladentheke standen nämlich viele große Gläser, alle bis zum Rand gefüllt, mit bunten Süßigkeiten.

Falls du damals das Glück hattest, dass dir jemand ein 50-Pfennig-Stück schenkte,- Was das ist, fragst du? Ein 50-Pfennig-Stück war eine kleine, hübsche silberne Münze, die damals ausgesprochen wertvoll war, zumindest für Kinder. Manchmal bekamst du von Onkeln, Tanten oder anderen netten Erwachsenen so eine geschenkt. Damit konntest du zu Frau Timm an den Tresen gehen und sagen: „Eine Tüte für 50 Pfennig, bitte.“  Wenn du das gesagt hattest, durftest du dir im Tausch gegen die Münze Süßigkeiten aus ihren Gläsern aussuchen. Das war natürlich ein tolles Tauschgeschäft, aber es war auch sehr anstrengend, für beide Seiten, will ich meinen, und es konnte wirklich viel Zeit in Anspruch nehme, bis man sich schließlich einig war.  Deshalb musste man das Aussuchen der Süßigkeiten auch immer unterbrechen, wenn ein anderer Kunde in den Laden kam und z.B. eins von Bäcker Timms Broten kaufen wollte. Das war keine so schwierige Sache und ging wesentlich schneller als das mit der Tüte für 50 Pfennig.

Erst wenn Frau Timm und ich wieder alleine waren, konnten wir beide uns wieder in Ruhe auf die Gläser und die Tüte konzentrieren. Was daran denn so kompliziert gewesen ist, möchtest du wissen? Das kann ich dir gern erklären. Zunächst einmal waren es wirklich viele Gläser und damit auch sehr viele verschiedene Süßigkeiten, zwischen denen du dich entscheiden solltest. Du musstest du dir ja alle genau anschauen und überlegen, welche davon wohl am besten schmecken könnten. Das allein dauerte natürlich schon eine gute Weile und manchmal sah Frau Timm tatsächlich bereits zu diesem Zeitpunkt etwas ungeduldig aus, wenn sie da so mit der kleinen Papiertüte in der Hand hinter dem Tresen stand und wartete, bis zumindest einige ihrer Gläser es in deine engere Auswahl geschafft hatten. Und der richtig langwierige  Teil stand  ja erst noch an, die komplizierten Tauschverhandlungen.

Dass die so schwierig waren, lag aber wirklich mehr an Frau Timm als an mir. Ich hatte da ganz klare Vorstellungen. Für mein wertvolles 50-Pfennig-Stück wollte ich natürlich eine möglichst volle Tüte mit vielen von den verschiedenen Süßigkeiten  bekommen. Hätte sie nun einfach gesagt: „Ich würde deine Münze  gegen acht Sachen aus den Gläsern tauschen.“, wäre die Sache ja leicht gewesen. Dann hätte ich vielleicht gesagt: „Ich tausche sie aber nur gegen zehn.“ Ja, soweit und sogar noch weiter konnte ich damals auch schon zählen. Irgendwo wären wir uns da sicher schnell einig geworden. Jedenfalls klappte das Tauschen im Kindergarten so immer recht zügig: „Drei von meinen kleinen Murmel gegen eine von deinen großen?“, „Nein, vier!“, „Gut, abgemacht!“ Zack, schon war das Geschäft perfekt. Aber bei Frau Timm war das ganz anders. Sie hatte nämlich bei jeder einzelnen Sorte ihrer Süßigkeiten eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie wertvoll sie waren und wie viele davon sie für die 50 Pfennig hergeben wollte.

Die Lollis waren ihr die Liebsten, von denen wollte sie nie viele tauschen. Das wusste ich zum Glück schon und ließ sie von vornherein links liegen. Mit Lollis zu einer Einigung zu gelangen, war einfach aussichtslos.  Wenn du nämlich schon zwei davon in deiner Tüte hattest und noch einen dritten dazu wolltest, dann war Frau Timm das zu viel.  Dann war sie höchstens dazu bereit, dir noch eine Lakritzschnecke oder zwei Salzheringe dazuzugeben. Das wäre für dich selbstverständlich ein schlechter Tausch gewesen. Ein 50-Pfennig-Stück gegen nur drei Sachen? Nein, so kam das natürlich überhaupt nicht in Frage. In so einem Fall musste Frau Timm die Lollis wieder aus der Tüte nehmen, sie in ihre Gläser zurücklegen und wir versuchten es als nächstes mit etwas anderem, den kleinen Rumkugeln, zum Beispiel oder den Fruchtgummis.

Mit der Zeit hatten wir beide gelernt, dass das mit dem ständigen Ein- und Auspacken der Süßigkeiten recht lange dauern konnte. So probierten wir nach und nach unterschiedliche Strategien aus, um schneller ans Ziel zu kommen. Manchmal fragte ich gleich zu Beginn der Verhandlungen ihre Vorstellungen zu den Süßigkeiten ab, die ich wirklich unbedingt haben wollte:  „Wie viele von denen? Und wie viele von denen? Und wie viele bekomme ich noch dazu, wenn ich einen von denen und dann zwei davon nehme?“ Ab und an bekamen wir das hin. Manchmal versuchte sie hingegen, mir bestimmte Süßigkeitenkombinationen vorzuschlagen, von denen sie meinte, dass sie mich vielleicht zufrieden stellen würden. Oder sie zählte rückwärts: „Jetzt noch zwei davon oder vier von denen.“ Das ein oder andere Mal kam Frau Timm allerdings selbst durcheinander mit ihrer Rechnung, vor allem wenn sie zwischendurch noch ein Brot an jemand anders verkauft hatte,  und sie musste die ganze Tüte wieder auspacken, sich alle Teile nochmal genau anschauen und überlegen, ob der Tausch für sie so in Ordnung war oder nicht. Aber, egal wie lange es auch dauerte, die Mühe lohnte sich und wir wurden schließlich einig. Am Ende waren Frau Timm und ich immer beide glücklich und zufrieden, wenn ich mit meiner Tüte strahlend den Laden verließ und sie das hübsche 50-Pfennig-Stück behalten durfte, da bin ich mir sicher.

Ja, so war das damals, aber das nur ganz kurz am Rande, wir sind ja schließlich bei meiner Banditenjagd. Ich blickte  also von meinem Beobachtungsposten aus Richtung Elpersbüttel und wartete darauf, dass ein Bandit auftauchen würde. Schier endlose Minuten vergingen, ohne dass etwas geschah. Doch dann, plötzlich, nahm ich eine Bewegung auf dem Radfahrweg wahr. Das war in etwa auf Höhe des Schlachters, wohl einen Kilometer entfernt. Noch konnte ich nichts Genaues erkennen, aber eindeutig bewegte sich etwas oder jemand in meine Richtung.  Es kam schnell näher und ich konnte zunächst nur erahnen, dass es sich um eine Person auf einem Fahrrad handelte.

Gut, das war noch nicht direkt verdächtig, aber auf einmal begann mein Herz wie wild zu pochen. Die Person auf dem Fahrrad hatte doch eindeutig ein Taschentuch vor ihr Gesicht gebunden! Das konnte ja nur ein Bandit sein! Zugegeben, dass die Banditen Fahrrad fuhren, hatte nicht erwartet. Aber wenn Polizisten und Sheriffs Rad fahren, warum dann nicht auch Banditen? Vielleicht hatten sie ja inzwischen auch spitz bekommen, dass man sich mit einem großen Pferd nicht so gut verstecken kann, wie mit einem Rad – eine Erkenntnis, die mir  schon vor Beginn meines ersten Arbeitstages als Sheriff gekommen war, wie du ja weißt. Ein Bandit! Und schon in wenigen Augenblicken würde er Ammerswurth erreicht haben. Zeit für meinen ersten Einsatz als Sheriff!

Ich behielt den näherkommenden Banditen ganz genau im Auge und ging dabei in Gedanken schnell noch einmal den Plan für mein weiteres Vorgehen durch. Als erstes musste ich mit meiner Pistole ganz laut in die Luft schießen. Ich streckte sofort die rechte Hand nach hinten, zog meine Holzpistole aus dem Bund meiner Sheriffhose und flüsterte probehalber schon mal ein ganz leises „Peng!“ Gleich würde das natürlich um ein Vielfaches lauter werden, wenn ich dann richtig schoss, aber der Bandit sollte vorher erst mal in meine Reichweite kommen und nicht schon vorgewarnt werden und mir am Ende entwischen.

Also ruhig verhalten und schießen, wenn er sich auf dem Radweg direkt vor meinem Baumhaus und mir befand. Dann würde er furchtbar erschrecken, stehenbleiben und die Hände hochnehmen. Ich würde dann „Keine Bewegung!“ rufen und zur Bekräftigung meines Befehls vielleicht noch einmal laut in die Luft schießen. Bis hierher stand der Plan fest. Aber siedend heiß fiel mir auf einmal ein, dass ich noch gar nicht weiter gedachte hatte. Als nächstes musste ich den gefährlichen Banditen ja festnehmen. Hätte ich dafür vielleicht an Handschellen denken sollen? Die gab es aber bei uns im Haus meines Wissens gar nicht und ich kannte auch niemanden, der mir welche hätte leihen können. Aber einen Strick zum Fesseln hätte ich doch mitnehmen können. Mein Vater hatte viele verschiedene Stricke im Stall, die ich mir manchmal auslieh, um damit zu spielen. Um jetzt noch zurückzulaufen und einen zu holen, war es aber viel zu spät. Der Bandit würde jeden Moment da sein. So musste ich einfach darauf vertrauen, dass er mir gehorchen würde, sobald er sah, dass ein echter Sheriff, mit einem echten Sheriffstern und einer echten Pistole vor ihm stand. Das würde er dann schon, da war ich mir ziemlich sicher. Und falls nicht und er versuchen sollte zu fliehen, konnte ich ja immer noch einen Strick mitnehmen, wenn ich sowieso zum Stall musste, um mein kleines, grünes Fahrrad für die Verfolgung zu holen. Soweit so gut.

Blieb nur noch eins, die Frage, wo ich den Banditen eigentlich einsperren wollte. Jetzt musste ich wirklich blitzschnell denken, denn der Bandit war inzwischen fast schon auf meiner Höhe. Der Keller fiel mir wieder ein. Nein, das war viel zu gefährlich für meine Mutter, die von dort immer Vorräte holte. Sie durfte dort unten nicht allein, unbewaffnet und ohne ein Sheriff zu sein  auf den Banditen treffen. Es musste etwas Besseres geben. „Denk schneller!“, sagte ich leise zu mir. Nur noch Sekunden, bis ich handeln musste! Und blitzartig kam mir der richtige Einfall: das alte Plumpsklo. Das war noch aus der Zeit, als mein Vater ein Kind gewesen war. Es befand sich draußen, versteckt  hinter der alten Mühle und war zwar etwas baufällig, aber die Mauern standen noch und es gab eine uralte, morsche Holztür, um es zu verschließen. Das war doch die perfekte Gefängniszelle. Warum hatte ich nicht gleich daran gedacht? Diese Frage konnte ich mir nicht mehr beantworten. Der Bandit war da! Ich feuerte den lautesten Schuss meines ganzen bisherigen Lebens ab und sprang siegesgewiss von ganz oben aus dem Baumhaus herunter auf den Rasen: „Ha, hab ich dich!“

Und dann? Ja, und dann war der Moment gekommen, von dem an irgendwie alles schief ging. Es war sozusagen der Anfang vom Ende meiner kurzen Karriere. Und peinlich wurde es auch für mich. Ehrlich gesagt, ist es mir bis heute noch ein bisschen peinlich, wenn ich so darüber nachdenke. Das muss ich mir jetzt erst einmal in Ruhe überlegen, wie ich ab hier am besten weitererzähle.

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Hast du Lust weiter zu lesen? Hier geht es zum nächsten Teil der Sheriff-Geschichte:

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WeiterlesenSheriff für einen Tag Teil 4 – Wie ich Jagd auf Banditen machte

Sheriff für einen Tag Teil 3 – Wie ich zu meiner Pistole kam

Sheriff für einen Tag Teil 3
Wie ich zu meiner Pistole kam

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< Hier findest du Teil 1 >
< Hier findest du Teil 2 >

Titelbild Sheriff für einen Tag Teil 3

Du hast Recht, ich bin dir noch den Rest der Geschichte schuldig, wie ich mal Sheriff war, nur für einen Tag, wohlgemerkt. Dann erzähle ich jetzt mal weiter, wie das damals alles war. Du erinnerst dich, ich hatte schon meinen Stern und meine Sheriffhose, ich hatte gefrühstückt und ich hatte einen Plan für meinen ersten Arbeitstag. Also war quasi alles vorbereitet für die Jagd auf Banditen, bis auf eine letzte kleine Sache und die ließ sich nicht im Haus erledigen. Also lief ich schnell nach draußen, wo mir an diesem schönen, warmen Sommermorgen die Sonne ins Gesicht lachte.

Ich versicherte mich kurz, dass mein kleines, grünes Kinderrad an seinem Platz stand und auch keinen platten Reifen hatte. Alles war gut, und somit war ich für eventuelle Verfolgungsjagden bestens gerüstet. Was nun noch fehlte, war eine Pistole. Ein Sheriff braucht natürlich mindestens eine, am besten zwei Pistolen, mit denen er in die Luft schießen kann, um die Banditen zu erschrecken. Wenn die Schüsse richtig laut sind, bleiben die Banditen nämlich sofort stehen, reißen die Hände hoch und der Sheriff kann sie fangen und einsperren. So eine Pistole war also zwingend erforderlich für die Banditenjagd. Und wenn man eine Pistole haben möchte, muss man eine ganz bestimmte Sache tun, nämlich Stöcker-Suchen. Das würde nun meine erste Amtshandlung als Dorfsheriff werden. Kurz Stöcker-Suchen und los geht’s!

Was sind denn „Stöcker“, fragst du? Also, früher wusste das wirklich jedes Kind. Wir haben alle „Stöcker“ gesagt, manche sogar „Stögger“. Sehr zum Ärger meiner späteren Klassenlehrerin in der Grundschule, Frau Regge. So hieß sie, aber nur zuerst. Als wir in der dritten Klasse waren, heiratete sie und hieß dann anders. Sie war sehr nett und auch sehr klug, aber was sie und viele andere Erwachsene einfach nicht verstanden, war der entscheidende Unterschied zwischen „Stöcke“ und „Stöcker“. Dabei war die Sache doch so einfach. Stöcke waren eben einfach nur uninteressante Stöcke, die irgendwo rumstanden oder rumlagen. Spazierstöcke, zum Beispiel,  Skistöcke, Gehstöcke, Taktstöcke, Stöcke zum Rindertreiben oder auch einfach etwas dickere, ganz normale Zweige, die irgendwo vom Baum gefallen waren. Aber Stöcker waren etwas ganz anderes. Das waren die besonderen. Die seltenen. Stöcker waren äußerst kostbar und  man konnte sie für Vieles gebrauchen, aber dazu musste man sie erst mal finden. Und das war meist sehr schwierig. Wenn ein anderes Kind stolz verkündete, es habe einen Ort gefunden, an dem richtig tolle Stöcker zu finden waren, konnten wir damals ganz schön neidisch werden. Je nach gewünschtem Verwendungszweck war es nämlich ganz genau vorgeschrieben war, wie die Stöcker beschaffen sein mussten. Genau die richtigen zu finden, war viel Arbeit und konnte lange Zeit in Anspruch nehmen.

Zum Bauen von Schleudern brauchte man zum Beispiel  Stöcker, die eine ganz bestimmte Länge und Dicke haben mussten und wie ein Ypsilon aussahen. Und zwar nicht wie ein krakeliges Y, sondern wie eins in richtiger Schönschrift, das aussah wie gedruckt. Ein Ypsilon kannte ich damals zwar noch nicht, ich konnte ja noch nicht lesen und schreiben, aber wie Stöcker für eine Schleuder auszusehen hatten, wusste ich trotzdem. Aber das war gerade egal. Ich brauchte ja jetzt Stöcker für Pistolen. Die mussten ebenfalls eine bestimmte Länge und Dicke haben und außerdem einen Knick an exakt an der richtigen Stelle. Du weißt ja sicher, wie eine Pistole aussieht. Sie hat einen Griff und einen Lauf. Ist beides zu lang, ist es  keine Pistole sondern ein Gewehr. Ist beides zu kurz, ist es nur eine Kinderpistole, die gar nicht in echt schießen kann. Und wenn nur eine  Seite  zu lang oder zu kurz ist, ist es nichts anderes als ein ganz normaler Stock mit einem Knick irgendwo. Das Gleiche gilt übrigens, wenn der Stock zu dick oder zu dünn ist. Du siehst, es ist nicht einfach, Pistolenstöcker zu finden.

Aber ich brauchte ja nun wirklich dringend welche und begann sogleich mit der Suche. Zum Glück kannte ich Ammerswurth wie meine Westentasche. So wusste ich zum Beispiel genau, wo die besten Blumenstellen waren. Meine Lieblingsblume, der Wiesenkerbel, wuchs am Grabenrand neben der kleinen Teerstraße zu unserem Nachbarn, der rote Klee da, wo mein Vater den alten Schweinestall abgerissen hatte und das Wiesenschaumkraut hinter unserem Dorf an der Straße zum Deich. Der Sauerampfer mit den leckeren, säuerlichen Blättern war neben dem Teich auf unserer kleinen Weide zu finden. Der war zwar keine richtige Blume, sah aber trotzdem hübsch aus in einem selbstgepflückten Wildblumenstrauß. Damals gab es so viele verschiedene Blumen, die jedes Jahr auf’s Neue wuchsen und blühten, ohne dass  jemand sie pflanzen oder aussäen musste, sogar mitten in den Kornfeldern und direkt an der Hauptstraße. Ich glaube, heute ist das nicht mehr so.

Ich kannte außerdem auch alle richtig guten Verstecke, das beeindruckende Hornissennest in dem hohlen alten Apfelbaum, alle Geheimwege und Abkürzungen,  die besten Kletterbäume  und natürlich auch die Stellen, an denen man mit der größten Wahrscheinlichkeit Stöcker finden würde.  Ich war demnach optimistisch, schnell fündig zu werden und meine Sheriffausrüstung vervollständigen zu können. Zunächst versuchte ich es  am Knick zum Nachbargrundstück. Dort standen viele große, alte Bäume, die öfter mal ein paar Zweige und Äste verloren, die in Ammerswurth zum Glück nie jemand wegräumte. Und tatsächlich lagen dort eine Menge Stöcke, aber fast keine Stöcker. Die einzigen, die ich finden konnte, ließen sich vielleicht als Gewehr gebrauchen, das merkte ich mir sicherheitshalber schon mal für einen anderen Tag. Pistolenstöcker gab es aber keine, obwohl einige auf den ersten Blick so aussahen. Bei näherer Betrachtung hatte aber jeder irgendeinen Fehler, ein zu kurzer Griff hier, ein zu langer Lauf da oder schlichtweg zu krumm. Wer kann schon eine krumme Pistole brauchen? Ich musste also weiter suchen. Das war zwar ärgerlich, weil ich so viel Zeit verlor, die ich eigentlich für die Jagd auf Banditen brauchte, aber ich ließ mich nicht entmutigen. Schnell rannte ich über den Hof an den Graben, wo der Wiesenkerbel wuchs.

Dort stand auch eine lange Reihe großer Pappeln. Das sind die Bäume, die im Sommer immer so viele Wattebälle abwerfen, dass es um sie herum aussieht, als habe es geschneit. Dank der Pappeln konnte ich dann immer richtig toll Winter spielen, obwohl in Ammerswurth ja fast immer Sommer war. Irgendwo unter den Bäumen würde sich doch bestimmt eine Pistole auftreiben lassen. Mein Vater erzählte übrigens immer, dass er die ganze Pappelreihe, die fast bis zum alten Deich verlief, selbst gepflanzt habe. Ich wusste nie so recht, ob ich das wirklich glauben sollte, denn die Bäume waren wirklich hoch und mussten mächtig alt sein. Einerseits war mein Vater natürlich auch schon mächtig alt, aber ganz so alt wie diese Pappeln kam er mir andererseits dann doch nicht vor.

Wie dem auch sei, dort lief ich nun jedenfalls eilig hin. Und während ich rannte, fiel mir ein, was für ein Glück ich doch hatte, dass kein Kindergeburtstag war und ich nicht die roten Sandalen mit den Söckchen tragen musste, mit denen man so schlecht rennen kann. Barfuß, wie ich war, ging das viel besser und schneller. Nur an der Teerstraße, die  zwischen unserem Hof und dem Graben lag, musste ich natürlich bremsen und sie ganz langsam und vorsichtig  überqueren. Auf dem Teer waren nämlich unzählige kleine, wirklich spitze Steine, die an den Füßen weh taten, auch wenn man so wie ich jeden Tag barfuß lief und keine so empfindlichen Fußsohlen hatte. Diese Teerstraße war wirklich ein ärgerliches Hindernis.

Nur einmal gab es davon eine erfreuliche und viel zu kurze Ausnahme. Eines frühjahrs nämlich war sie auf einmal gar nicht mehr so hubbelig und piksig wie noch im Herbst sondern fast glatt. Plötzlich konnte man auf ihr wunderbar barfuß laufen, richtig schnell Fahrrad fahren und sogar Rollschuhlaufen. Vorher ging das nur ganz schwer und auch nur langsam. Spaß haben Rollschuhe auf der Teerstraße nur dann gemacht, wenn du beim Ausrollenlassen ganz laut „Aaaaaa“, „Oooooo“ oder „Iiiiii“ gerufen hast.

Was soll denn daran spaßig gewesen sein, fragst du? Nun, dann bist du wohl noch nie auf kleinen Plastikrollen über eine sehr raue Straße gefahren. Dabei wirst du richtig durchgeschüttelt. Das kribbelt an den Füßen, dir geht so ein Zittern von unten die Beine herauf bis in die Fingerspitzen und auch bis ganz nach oben zum Mund, aus dem dann zum Beispiel nicht mehr ein langes „Oooooo“ herauskommt, sondern ganz viele kleine zittrige und verschieden hohe „o o o o o o“, die sich wirklich lustig anhören. Probiere es einfach mal aus, dann wirst du schon sehen, was für ein Spaß das ist!

Du hast Recht, kaum jemand hat heute noch Rollschuhe. Dabei waren die so praktisch, weil sie ganz lange passten. Die waren nämlich nicht mit einem festen Stiefel oben dran, der dir im Nu zu klein geworden ist, sondern du konntest sie dir unter jeden x-beliebigen deiner Schuhe schnallen.  Wenn deine Füße plötzlich wieder mal ein Stück gewachsen waren und die Rollschuhe anfingen zu drücken, konnten Papa oder Mama sie mit einem Schraubenzieher einfach länger machen und  das Rollschuhfahren konnte sofort weiter gehen.

Als ich schon ein bisschen älter war, bekam ich zum Geburtstag dann auch solche Rollschuhe mit einem Stiefel geschenkt. Die waren schwarz, mit roten Streifen und roten Rollen und hatten vorne sogar einen roten Stopper aus Gummi dran. Das waren die neuesten und modernsten Rollschuhe, die es damals gab. Discoroller sagte man dazu, weil es zu der Zeit wohl Discos gab, in denen Erwachsene mit solchen Rollschuhen getanzt haben. In so einer war ich nie, aber die Discoroller gefielen mir schon. Sie waren bequem und ziemlich schnell und die alten zum Anschnallen wurden dann an ein jüngeres Kind verschenkt. Es kam dann so wie es wohl kommen musste, nach nur einem Jahr waren sie mir zu klein geworden. Danach bekam ich nie wieder Rollschuhe geschenkt, was eigentlich schade ist, wo ich grad darüber nachdenke.

Aber ich wollte ja von der Teerstraße erzählen, die nach dem Winter plötzlich nicht mehr rau und piksig war. Ich hatte mich schnell an die neue Rennbahn vor dem Haus gewöhnt und nutzte sie ausgiebig, egal ob nun barfuß oder auf den verschiedenen Rädern und Rollen, die mir zur Verfügung standen. Bis eines Morgens – und ja, ich dachte, mich träfe der Schlag – bis eines Morgens ein Mann mit einer riesigen großen und lauten Maschine kam,  mit der er wieder Unmengen dieser spitzen, kleinen grauen Steine auf die Straße schüttete.  Gegen Mittag war er mit der ganzen Straße, die einmal um Ammerswurth herum führte, fertig. Ganz am Ende stellte er noch mehrere Schilder an den Weg, wahrscheinlich um alle zu warnen, die nun barfuß über die Straße rennen wollten und nicht wussten, dass das plötzlich wieder richtig wehtun würde. Die Schilder hätten mir wenig geholfen, denn ich konnte ja noch nicht lesen, aber ich hatte das Ganze sehr genau beobachtet und musste nicht mehr gewarnt werden. Trotzdem ärgerte ich mich sehr über diesen Mann und seine Steine, die die Teerstraße nun wieder zu einem Hindernis gemacht hatten.

Das Einzige, was mich etwas versöhnlich stimmte, war, das diese neuen spitzen Steine bei näherem Hinsehen ziemlich hübsch waren. Und hübsche Steine konnte man ja immer gebrauchen. In der Sonne glitzerten sie fast wie mein silberner Sheriffstern und so holte ich meinen kleinen Eimer, kniete mich auf die Straße und machte ihn bis zum Rand voll mit den kleinen Steinen. So einen wertvollen Silberschatz hatte ja schließlich nicht jeder und vielleicht ließen sich ja ein paar von den Silbersteinen sogar gegen eine Murmel oder etwas anderes Nützliches  tauschen. Mal sehen. Ich versteckte den Eimer zum Schutz vor Banditen vorerst an einem sicheren Ort in unserem alten, grünen Schuppen.

Ach ja, Silber und Sheriffstern, da war doch was! An dem Tag, an dem ich Sheriff war, war die Teerstraße piksig, die kleinen, spitzen Steine sahen auch nicht besonders aus und alles, was mich an ihr interessierte war, schnell und mit so wenig Schmerzen wie möglich über sie hinweg zu kommen. Ein paar kleine Ausrufe wie „autsch“ und „aah“ waren sicher dabei, das weiß ich nicht mehr so genau, aber irgendwann war das Hindernis überwunden und ich konnte mich am Grabenrand  unter den Pappeln nach einer Pistole umsehen. Das war nicht ganz so einfach wie vorher am Knick, weil unter den Bäumen auch noch zahlreiche Büsche standen, in deren Zweigen sich gern mal deine Haare verfingen oder du mit dem T-Shirt irgendwo hängen bliebst, während du darunter herumkrabbeltest. Das war mir aber in dem Moment egal, ich war schließlich ein Sheriff und Pflicht war Pflicht. Ich musste an meine Pistole kommen, egal um welchen Preis. Wenn mich das ein paar wenige meiner blonden Haare kosten würde, dann sollte das eben so sein.

So robbte und krabbelte ich also suchend durch das Gestrüpp, begutachtete eingehend den ein oder anderen Stock, der sich dann als normaler Stock und damit als unbrauchbar erwies und behielt dabei  vorsichtshalber schon mal das Kornfeld auf der anderen Seite des Grabens im Auge. Ein Kornfeld bietet einem Banditen schließlich eine richtig gute Möglichkeit, sich unbemerkt anzuschleichen, das wusste ich genau. Mit so einer Masche konnte man mich nicht hereinlegen, denn ich hatte schon Verstecken in Kornfeldern gespielt, solange ich denken konnte. Ich wusste damals schon, wie man sich, ohne das kleinste Rascheln zu verursachen, durch das hohe Getreide bewegen konnte und dass man in den Treckerspuren, in denen nicht so viel Korn wuchs, ziemlich schnell rennen konnte. Also nicht mit mir, ihr Banditen!

Nach einiger Zeit hatte ich mich auf allen Vieren schon fast bis zur Hofauffahrt unserer Nachbarn vorgearbeitet. Meine nackten Knie waren inzwischen schon ziemlich grün und die ein oder andere kleine Schramme hatte ich auch abbekommen. Das war aber nicht weiter schlimm, denn das war an jedem Tag so, nicht nur an dem, an dem ich Sheriff war. Viel schlimmer war, dass am Grundstück von Onkel Peter-Heinrich das dichte Gebüsch endete und  damit die Chancen, dort noch eine passende Pistole zu finden, dramatisch sanken. Dann hätte ich noch eine andere gute Stöckerstelle aufsuchen müssen.

Musste ich aber nicht, denn auf der Höhe unserer Obstwiese, die sich zwischen unserem Haus und dem Nachbarhof befand, lag sie auf einmal einfach vor mir. Meine Sheriffpistole! Das erkannte ich sofort. Sie lag einfach da, ich musste nicht mal unter den feuchten Ästen im Schatten nach ihr suchen. Das war ein absoluter Pluspunkt, denn obenauf liegende Stöcker waren trocken, Stöcker, die im Schatten unter anderen Zweigen und Stöcken lagen, waren feucht. Und feucht bedeutete glitschig und manchmal sogar grün und glibberig. Solche Stöcker mussten dann erst mal an der Sonne getrocknet werden und waren somit nicht sofort einsatzbereit. Das Glück war auf meiner Seite.  Ich hatte doch nun wirklich keine Zeit mehr zu verlieren und hätte erst recht nicht  so lange warten können, bis meine Pistole trocken gewesen wäre.

Sie war absolut trocken und auch sonst perfekt in jeder Hinsicht. Griff und Lauf hatten genau die richtige Dicke und Länge, das Holz war nicht morsch sondern noch frisch und von einer schönen hellbraunen Farbe. Am Griff war noch ein ziemlich großes Stück Rinde, so dass sie gut in der Hand lag. Probeweise gab ich einen Schuss in die Luft ab. Ja, damit würde ich jeden Banditen so erschrecken, dass er auf der Stelle wie vom Donner gerührt stehen blieb und sich wiederstandlos fangen ließ. Nun ging es richtig los. „Seid gewarnt, ihr Banditen!“, dachte oder rief ich und wir machten uns ans Sheriffsein, ich, mein Sheriffstern an meiner Sheriffhose und meine neue, wunderbare Pistole.

Nun ist es schon wieder so spät geworden und ich bin immer noch nicht zu der eigentlichen Jagd auf die Banditen gekommen. Das tut mir leid, aber ich wusste ja nicht, dass es heutzutage so lange dauert, jemandem das mit den Stöckern zu erklären. Das war aber ja durchaus wichtig für die Geschichte. Wie es damals  dann weiterging, erzähle ich dir beim nächsten Mal. Großes Sheriff-Ehrenwort.

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Hast du Lust weiter zu lesen? Hier geht es zum nächsten Teil der Sheriff-Geschichte:

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WeiterlesenSheriff für einen Tag Teil 3 – Wie ich zu meiner Pistole kam

Neulich im Hühnerstall – Pünktchens Abenteuer Teil 1

  • Beitrags-Kategorie:Hühner

Neulich im Hühnerstall
Pünktchens Abenteuer - Teil 1

Gepunktetes Grünleger Huhn

„Hühner? Ihr wollt Hühner haben? Was wisst ihr denn schon von Hühnern?“, „Erst das alte Haus mit diesem viel zu großen Grundstück, dann der große, wilde Hund und jetzt auch noch Hühner? Ihr ranzt euch da doch viel zu viel an!“, „Was wollt ihr denn bitteschön mit Hühnern? Die machen nur Dreck und ihr holt euch noch die Ratten in den Garten. Das lasst mal lieber!“ So und so ähnlich waren die Reaktionen von etlichen Menschen aus unserem Umfeld, als wir ihnen von unserem Plan erzählten.

Hühner im GartenMit zumindest einer Sache hatten sie ein bisschen Recht: Was wussten wir denn von Hühnern? Wenn du dich an die Geschichte mit Emmi Tuck erinnerst, weißt du ja, dass ich mal ein Huhn hatte – vor weit über 30 Jahren und auch nur für einen Tag. Ich habe sie nie vergessen, sie war braun und sehr zahm. Viel mehr wusste ich dann aber auch nicht über sie und ihre Artgenossen. Als Maik noch klein war, hatte sein Großvater auch mal Hühner gehalten. Das erinnerte er zwar noch, damit war dann aber auch sein Vorwissen so ziemlich erschöpft.  Also schon richtig, als Hühnerexperten konnten wir beide wohl noch nicht gelten.

Wohlgemerkt noch nicht! Denn wie wir ja allen kritischen Mitmenschen gesagt hatten: es war ein Plan und kein spontaner Einfall. Nein wir hatten nicht etwa vor, blauäugig an das Ganze heranzugehen und fühlten uns ausreichend informiert und vorbereitet. Also hörten wir, wie fast immer, nicht darauf, was die anderen meinten. Sollten sie uns ruhig für ein bisschen verrückt halten, was machte das schon? Noch bevor wir in unser kleines altes Haus mit dem angeblich viel zu großen Garten eingezogen waren, wussten wir, dass hier neben einem großen Hund früher oder später auch ein paar Hühner ein Zuhause finden sollten. Trotzdem hatte es noch länger als ein Jahr gedauert, bis wir diesen Plan in die Tat umsetzen konnten.

Den ganzen Winter hatten wir geplant, überlegt, mit Hühnerhaltern gesprochen und alles über Hühner und ihre Haltung gelesen, was uns in die Finger gekommen war. Wir wollten ja  schließlich gut vorbereitet sein auf unsere neuen tierischen Mitbewohner und nicht vielleicht schon beim Bau des Hühnerstalls die ersten Fehler machen. Wie hoch und wie dick muss denn eine Sitzstange sein? Wie baut man einen mardersicheren Stall? Welche Rassen kommen eigentlich in Frage? Welches Futter wäre denn das richtige? Gut, dass es so viele Menschen, mit Wissen und Erfahrung gab, von denen wir lernen konnten.

Werkbank im Garten Im Mai hatte Maik dann mit dem Stallbau begonnen. Im Nu war der Garten eine einzige Werkstatt und es wurde den ganzen Tag gemessen, gesägt, gebohrt, geschraubt und gestrichen, bis schließlich die Bodenplatte, alle Seitenwände, Fenster und Türen fertig waren.

 

Stallbau SeitenwändeDer Obstgarten schien uns ein geeigneter Platz für das Hühnerhäuschen zu sein. Nach Norden und Westen war es dort durch die vielen Bäume gut vor Wind und Wetter geschützt, von Süden und Osten konnte durch die Fenster genügend Licht in den Stall fallen. Im Sommer würden die Obstbäume ihn beschatten und verhindern, dass es im Inneren zu heiß würde.

Bald stand auch schon das Fundament und Maik begann die Stallteile zu montieren. Immer an seiner Seite Kormin, der große, wilde Hund, der jeden Handgriff genau beobachtete.  Schließlich war auch das Dach geschlossen und mit Teerpappe regendicht gemacht, der Stall mit Sitzstange und Legenestern eingerichtet, Futter – und Wasserspender standen bereit, kurzum, alles war vorbereitet für unsere allerersten Hühner. Die Vorfreude war groß und nun wollten wir auch nicht mehr länger warten. Also machten wir uns an einem Morgen im Juni auf den Weg zum Wochenmarkt in der nächstgelegenen Stadt, wo jedes Jahr im Frühjahr ein Geflügelhändler Junghennen zum Verkauf anbot.

Montage eimes Hühnerstalls
Dach auf einen Hühnerstall bauen
Hund überwacht den Bau eines Hühnerstalls
Hühnerstall in der Bauphase
Fertiger Hühnerstall

Auf dem Markt herrschte geschäftiges Treiben, wie an jedem Samstagvormittag. Auch vor dem Stand des Geflügelhändlers stand eine dichte Menschentraube. Besonders das Gehege mit Enten- und Gänseküken zog viele Schaulustige an. Und einige Eltern mussten ihre begeisterten Kinder zurückhalten, die offensichtlich am liebsten über den niedrigen Zaun geklettert wären, um die niedlichen Küken zu streicheln. Ein kleines Mädchen aber hatte sich in eines der Hühner verguckt, die dicht gedrängt in ihren Käfigen auf einem langen Tisch saßen. „Wie heißt das Huhn denn?“, fragte das kleine Mädchen seine Mutter. „Die heißen alle Vorwerk!“, bemerkte der Händler ziemlich harsch, wie ich fand. Auch das Mädchen schien mit der Antwort nicht recht zufrieden zu sein, denn es fragte weiter: „Warum heißen die denn alle gleich?“ Durchaus eine berechtigte Frage, schien mir und da anscheinend niemand darauf antworten wollte, sagte ich: „Ich glaube, die Hühner haben alle noch gar keinen Vornamen. Den bekommen sie erst, wenn man jemand sie mit nach Hause nimmt. „Vorwerk“ ist so etwas wie der Nachname, den sie haben, weil sie aus der gleichen Familie kommen.“ 

Weiter kam ich nicht, denn nun wandte sich der Geflügelhändler an uns. Verständlicherweise wollte er wohl lieber ein Geschäft machen, als über Hühnernamen zu diskutieren. Vier Hühner wollten wir mit zu uns nehmen, zwei Sussex und zwei Grünleger. Aber für welche der vielen jungen Hennen sollten wir uns bloß entscheiden? Maik suchte als erstes eine der Sussexdamen aus. Sie hatte schneeweiße Füße und einen schön gezeichneten schwarzen Federkragen, der ihr später den Namen „Collar“ bescherte.

Sussexhuhn mit schönem KragenDer Händler holte das flatternde Huhn mit einem entschlossenen Griff aus dem Käfig und beförderte es ziemlich unsanft in einen großen Pappkarton. Anscheinend hatte er einfach insgesamt eine etwas ruppige Art, die man ihm wohl nicht krumm nehmen durfte.

Sussex mit gelben FüßenNun war die Reihe an mir, das zweite Huhn auszuwählen Die meisten anderen Hennen in dem Käfig sahen Collar zum Verwechseln ähnlich. Nur eine war anders. Sie hatte nämlich ganz dunkelgelbe Beine und Füße. Mir schien es ganz günstig zu sein, unsere Hühner gleich vom ersten Tage an gut voneinander unterscheiden zu können, so dass ich mich für diese Henne entscheiden wollte. Da mischte sich plötzlich ein Herr ein, der neben mir stand und setzte mir auseinander, dass ich dieses Huhn auf gar keinen Fall kaufen solle, es sei nämlich fehlerhaft. „Die hat doch gar keinen ordentlichen Kragen und die die Füße müssen bei Sussex weiß sein. Die ist doch hässlich!“ Aha? Zum einen fand ich das arme kleine Huhn, das sich da so niedermachen lassen musste gar nicht hässlich und zum anderen wollte ich einfach nur  vier glückliche Hühner auf unserer Wiese sehen und keine Rassegeflügelzucht beginnen. Rassemerkmalkataloge waren mir denkbar gleichgültig und ich ärgerte mich auch ein bisschen über den Ton dieses Herrn, der da so unfreundlich und ungefragt seine Meinung kundtat. Jetzt kaufte ich diese Henne erst Recht! Als der Geflügelhändler sie aus dem Käfig hob und zu Collar in den Pappkarton steckte, wehrte sie sich kaum. Sie schien also einverstanden mit meiner Entscheidung zu sein. Sie wurde unsere „Geli“, das Sussex mit den gelben Füßen, wobei „geel“ das plattdeutsche Wort für „gelb“ ist.

Weiter ging es zu dem Käfig, in dem die Grünleger auf ein neues Zuhause warteten. Zunächst standen wir etwas unschlüssig davor.  Zehn oder mehr weiße Hennen drängten sich darin und einige sahen ziemlich zerrupft aus. „Da war heute Morgen noch der Hahn drauf!“, sagte der Händler, der unser Stirnrunzeln bemerkt hatte, und fügte hinzu: „Ich hätte auch noch eine schwarze!“ Maiks Augen leuchteten auf. Ein schwarzes Huhn, das war ganz nach seinem Geschmack! Der Händler dreht sich um, zog aus einem anderen Pappkarton ein Huhn hervor und hielt es uns am ausgestreckten Arm entgegen.

Schwarzes GrünlegerhuhnEs flatterte tüchtig und wirklich viel war  von ihm nicht zu erkennen, außer sein Federkleid, das in der Morgensonne nicht nur schwarz, sondern in den verschiedensten Grün- und Blautönen wunderschön schimmerte. Wir nickten beide und auch dieses Huhn landete im Karton bei Collar und Geli. Später taufte Maik es „Odi“. In den ersten Wochen waren wir uns bei dieser Henne nämlich nicht so ganz sicher, ob sie nicht vielleicht doch ein Hahn war. Maik meinte, falls das am Ende so sein sollte, könnten wir einfach ein „N“ an den Namen hängen, „Odin“ sei doch ein guter Name für einen Hahn. War es schlussendlich dann aber nicht und so ist es bei Odi geblieben.

Nun fehlte nur noch eine Henne und so wandten wir uns wieder den weißen Grünlegern im Käfig zu. Plötzlich fiel mir in der Mitte der dicht gedrängten Hühner eines auf, das anders aussah als die anderen. Es war nicht ganz weiß sondern hatte mehrere schwarze Flecken im Gefieder, die fast wie große Punkte aussahen, ein bisschen so wie bei dem Pferd von Pippi Langstrumpf, dem kleinen Onkel. Ob es nun die Assoziation mit einer Kindheitserinnerung war oder ob ich immer noch den Mann von vorhin im Kopf hatte, der anscheinend alles, was irgendwie von der Norm abwich als hässlich empfand,  mein Herz schlug sofort für dieses gepunktete Huhn. Es hatte den Kopf aus der Menge empor gestreckt und blickte neugierig um sich. Wir waren uns einig, das würde unser Huhn Nummer vier werden.

Weißes Grünlegerhuhn mit schwarzen PunktenEs dauerte ein bisschen, bis der Geflügelhändler  es endlich aus der Mitte des Käfigs herausgefischt hatte. Anscheinend sah er die Unterschiede zwischen seinen Hühnern nicht so genau wie wir und wusste nicht, welches wir denn nun eigentlich mit „das gepunktete da“ meinten. Aber schließlich war auch das vierte Huhn im Karton verstaut, den er nun mit einem Band ordentlich zuschnürte und Maik überreichte.

Vorsichtig trug er ihn zum Auto und stellte ihn auf die Rückbank. Ganz still war es darin. Die Hühner bewegten sich kaum in dem dunklen Karton und nur ab und an war ein leises “Gock“ zu vernehmen. Nun aber nichts wie nach Hause! Obwohl die Hühner ja ganz gelassen zu sein schienen, wollte es mir nicht gefallen, sie länger als nötig in dieser Kiste zu lassen. Einen ganz kurzen Zwischenstopp beim Baumarkt mussten wir allerdings machen, weil Maik noch irgendein Teil für eines der Stallfenster benötigte. Er sprintete in den Laden, während ich im Auto bei den Hühnern blieb. Auf der Rückbank war alles still, bis ich auf einmal ein seltsames Geräusch hörte. Irgendwas passierte da doch!

Ich drehte mich um und schaute auf den Karton. Er hatte begonnen sich zu bewegen und auf einmal tauchte oben aus der Mitte, dort wo die zusammengeklappten Pappstücke zusammentrafen, etwas auf. Das gepunktete Huhn hatte den Deckel auseinandergedrückt, streckte Kopf und Hals aus der Öffnung heraus und schaute sich um. „Na, du kleines Pünktchen Naseweis!“, sagte ich, als sich unsere Blicke trafen. Das Huhn machte keine Anstalten wieder in den Tiefen des Kartons zu verschwinden, sondern fuhr fort sich nach allen Seiten umzublicken. „Schau mal nach hinten!“, sagte ich zu Maik, als er nur wenige Augenblicke später wieder neben mir eingestiegen war. Verdutzt schaute er auf das Huhn, das ihm von der Rückbank aus entgegenblickte: „Ganz schön vorwitzig, die Kleine!“ „Ja, ein kleiner Naseweis!“, gab ich zurück, „Darf ich vorstellen, Pünktchen Naseweis?“ „Das passt!“, fand Maik. Und so fuhren wir dann alle nach Hause. Collar, Geli und Odi unten im Karton, Maik und ich – und Pünktchen, die die ganze Fahrt über genau zu verfolgen schien, wohin die Reise ins Ungewisse wohl gehen mochte. Pünktchens erstes Abenteuer auf dem Weg in ihr neues zu Hause. Das erste von vielen, die noch folgen sollten.

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