Sheriff für einen Tag Teil 5
– Wie die Banditenjagd weiterging

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Sheriff für einen Tag Teil 5, Geschichte von mein Blattwerk

Nun soll es also weitergehen mit der Geschichte, wie ich mal Sheriff war. Ich hab dich ja bereits vorgewarnt, dass es diesmal vielleicht nicht ganz so vergnüglich wird. Aber es ist nun mal eine wahre Geschichte und ich möchte nichts beschönigen. Sie begab sich nun einfach mal so und muss auch genauso erzählt werden.

Ich sprang also vom Baumhaus und rief dabei so laut ich konnte: „Ha, hab ich dich!“ Da waren wir stehengeblieben, richtig? Ab diesem Moment ging einfach alles schief. Zunächst mal misslang meine Landung unter dem Apfelbaum gründlich. Natürlich hatte ich auf meinen beiden Füßen landen, direkt zum Gartenzaun weiterrennen und dort den Banditen stellen wollen. Stattdessen fiel ich aber auf meine Knie und das nicht etwa im weichen Gras, sondern da, wo die Schaukel hing, unter der die Erde ganz hart war und wo zu allem Unglück auch noch einige Steine lagen.

Eigentlich wäre es von vornherein absehbar gewesen, dass dieser Sprung eine wirklich waghalsige und gefährliche Sache sein würde. Mein Baumhaus war nämlich ziemlich hoch, sicher einen ganzen Meter oder sogar noch ein wenig höher. Bei der Treppe in unserem Haus konnte ich schon locker von der dritten Stufe nach unten springen, bei meinem Klettergerüst sogar  von der fünften. Aber von ganz oben aus dem Baumhaus zu springen, das war dann doch etwas ganz anderes.

Ein Meter ist doch nicht hoch, meinst du? Naja, zum einen sagte ich ja, mein Baumhaus sei vielleicht auch etwas mehr als einen Meter hoch gewesen und zum anderen ist fast alles hoch, wenn du so klein wie ein Kindergartenkind bist. Du brauchst zum Beispiel einen Stuhl, um an die Becher oben im Küchenschrank zu kommen oder an die interessanten Bücher in den oberen Regalen im Wohnzimmer. Selbst in meinem Kinderzimmer musste ich immer klettern, um an meine Spielsachen zu kommen. Ich hatte so einen Schrank, der aus zwei Teilen bestand, die einfach aufeinander gestellt waren. Wenn ich etwas aus dem oberen Teil brauchte, musste ich auf den unteren steigen, um die Türen öffnen zu können.  Der untere Teil war nicht einmal einen halben Meter hoch und der obere wohl auch nur etwa einen Meter. Trotzdem wäre diese Höhe mir und meiner kleinen Schwester einmal fast zum Verhängnis geworden.  Ich erzähl dir mal, wie das war, damit du verstehst, wie gefährlich Springen und Klettern schon bei nur einem Meter sein können.

An dem Tag spielte ich mit meiner Schwester, die wirklich noch sehr klein war, fast noch ein Baby, in meinem Zimmer. Irgendwann brauchten wir plötzlich dringend etwas von da  oben aus meinem Schrank. Also stieg ich wie gewohnt auf den unteren Teil, hielt mich mit einer Hand an der einen linken oberen Tür fest und versuchte, mit der anderen die rechte zu öffnen. Da fing auf einmal der ganze obere Schrank an zu wackeln. Schließlich kippte er einfach vom unteren Schrankteil herunter und  riss mich mit. Ich stürzte zu Boden, halb auf meine kleine Schwester und alle Spielsachen fielen uns unter lautem Poltern auf den Kopf. Aber der schwere Schrank, der eigentlich auch direkt auf uns hätte krachen müssen, blieb kurz über unseren Köpfen stehen. Nur ein paar Zentimeter mehr und er hätte uns wahrscheinlich schwer verletzt, aber er rührte sich nicht mehr. Alles war totenstill.

Ich war ganz verdattert und brauchte einen Moment, um zu begreifen,  was eigentlich passiert war. Als  der Schrank nach vorn kippte, waren seine beiden Türen aufgeflogen. Diese hatten dann als erstes den Boden berührt und genau auf den Kanten der Türen war das Möbel zum Stehen gekommen. Dadurch war eine kleine Lücke zwischen Boden und Schrank entstanden, in der meine Schwester und ich nun in einem Berg von Spielzeug lagen.  Meine Schwester begann  wie am Spieß zu brüllen und nur Sekunden später kam meine Mutter kreidebleich ins Zimmer gestürzt. So schnell war sie wohl noch nie die Treppe heraufgerannt, wie an diesem Tag. Sie zog sofort unter aufgeregten Ohgoddgodd-Rufen meine kleine Schwester unter dem Schrank hervor und untersuchte sie auf etwaige Verletzungen. Bis auf das knallrote Gesicht, das sie aber immer hatte, wenn sie so laut schrie, fehlte ihr nichts. Ich konnte allein aus dem Spielzeugberg unter dem Schrank herauskrabbeln und abgesehen von der Tatsache, dass ich immer noch etwas verdattert war, fehlte auch mir nichts.

„Da habt ihr wirklich großes Glück gehabt!“, sagte meine Mutter schließlich erleichtert. Abends kam dann mein Vater mit einer Bohrmaschine in mein Zimmer und bohrte zwei richtig große Löcher. Erst eins durch die ganze Wand und dann eins durch die Rückwand meines Schrankes. Er stellte ihn wieder an seinen Platz, nahm eine ganz lange, dicke Schraube und steckte sie durch die Löcher, so dass sie auf dem Dachboden wieder herauskam. Dort drehte er eine große Mutter auf die Schraube und damit stand der Schrank bombenfest und konnte nie mehr umkippen, egal wie viel ich auf ihm herumkletterte. Vielleicht kann man das Loch in der Wand auf dem Dachboden in Ammerswurth sogar heute noch sehen.

Du siehst also, ein Meter ist gar nicht wenig, wenn man ein Kindergartenkind ist – egal ob es nun einen Meter nach oben oder, wie beim meinem Sprung aus dem Baumhaus, nach unten geht. Ich war deshalb nun also statt auf den Füßen auf den Knien gelandet und hatte mir zu allem Überfluss eins davon an einem Stein aufgeschürft. Das war an sich nicht weiter schlimm, denn als ich klein war, hatten alle Kinder immer kaputte Knie mit Schorf drauf. Man fiel ja beim Rennen, Rad fahren, Rollschuh laufen und all den anderen Sachen andauernd hin. „Stellen“ nannten wir das. Wer eine richtig schöne, besonders große Stelle hatte, zeigte sie stolz den anderen und wurde auch mächtig dafür bewundert.

Meine allerbeste Stelle habe ich übrigens damals bekommen, als mein Vater und ich den Unfall hatten. Mein Vater hatte sich ein Rennrad gekauft. Er fuhr, genau wie ich, sehr gerne Rad und das richtig weit und schnell. Deshalb hatte er sich so ein Rennrad gewünscht, um noch schneller fahren zu können. Es war grün, hatte nur ganz dünne Reifen und einen Lenker, bei dem die Griffe so komisch umgebogen waren. An dem Tag, als wir den Unfall hatten, wollten wir beide zusammen auf dem Rennrad fahren. Bei normalen Fahrrädern geht das ja auch ganz einfach. Einer sitzt auf dem Sattel, der andere auf dem Gepäckträger und hält sich gut am Vordermann fest. So haben wir das immer gemacht, aber bei dem neuen Rennrad ging das nicht. Es hatte nämlich gar keinen Gepäckträger. Also setzte mein Vater mich einfach auf die Stange und so fuhren einmal rund um Ammerswurth, auf der Teerstraße mit den piksigen Steinen, die du ja kennst.

Das klappte ganz gut, bis wir schon fast wieder zu Hause waren. Doch dann, genau vor dem Haus unserer  Nachbarn Onkel Werner und Tante Marga, geschah dann der Unfall. Die Stange, auf der ich saß, brach plötzlich, vollkommen unvermittelt in der Mitte durch und mein Vater und ich stürzten beide  mitsamt dem Rennrad auf die Teerstraße. Dabei schlitterte ich mir dem Gesicht über die spitzen Steine und schürfte mir die ganze Wange auf, die ordentlich blutete.

Wir waren beide ganz verdattert, rappelten uns auf uns machten uns schweigend mit dem kaputten Rennrad zu Fuß auf den Weg nach Haus. „Ich staune ja, wie tapfer du bist.“, sagte mein Vater, der wohl überrascht war, dass ich gar nicht weinte. Das tat ich auch nicht, bis meine Mutter uns kommen sah, die Lage erfasste und uns unter lautem Ohgoddogodd-Rufen aufgeregt entgegen lief. Da wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert war und begann natürlich sofort ganz schrecklich zu weinen. Mein Vater runzelte nur die Stirn und schob das kaputte Rennrad in den Stall, während meine Mutter mich tröstete.

Aber am nächsten Tag im Kindergarten war ich die Attraktion. Meine Wange blutete inzwischen längst nicht mehr, sie war richtig schön dick verschorft. So eine tolle, große Stelle und dann noch mitten im Gesicht – das war ja was! Alle Kinder wollten genau wissen, wie das passiert war und ich dachte mir extra für jeden eine andere spannende Geschichte aus. Das mit dem Rennrad war ja nicht so wirklich aufregend und eine tolle Stelle musste natürlich von einem richtigen, echten Abenteuer herrühren. Ich gab mir alle Mühe, wirklich viele Banditen und gefährliche Kämpfe in die Geschichte zu meiner verschorften Wange einzubauen. Das Rennrad ließ mein Vater übrigens später vom Schmied reparieren, aber zusammen darauf gefahren sind wie nie mehr.

Das mit dem aufgeschürften Knie war also nicht das Schlimme, wie du siehst. Das Schlimme war, dass ich meine Pistole fallen gelassen hatte. Nun würde mir der Bandit doch gewiss entwischen! So schnell ich konnte rappelte ich mich auf und blickte mich nach meiner Holzpistole um, die zum Glück direkt neben mir unter der Schaukel lag. Ich griff nach ihr und stürzte zum Gartenzaun,  um den Banditen aufzuhalten, der sich mit seinem Fahrrad genau vor mir befand.

Ich schoss mehrfach mit lautem „Peng! Peng!“ in die Luft, um ihn ordentlich zu erschrecken und zum Anhalten zu bewegen. Das tat er aber nicht, egal wie laut ich schoss. Er drehte nur für eine Sekunde den Kopf und blickte mich wortlos mit seinem maskierten Gesicht an, bevor er unbeirrt seine Fahrt Richtung Meldorf fortsetzte. Ich aber stand wie angewurzelt am Gartenzaun,  unfähig mich zu rühren und starrte dem Banditen nach, der sich rasch entfernte und immer kleiner wurde, bis er schließlich aus meinem Blickfeld verschwand.

Los, Verfolgung aufnehmen! Hol doch endlich dein kleines, grünes Rad und den Strick zum Fesseln und nichts wie hinterher! Ja, ich hör, dich ja. Aber glaub mir, das wäre sinnlos gewesen. Absolut sinnlos und noch peinlich obendrein. Ich stand noch eine Weile regungslos am Zaun. Schließlich drehte ich mich um, kletterte langsam und vorsichtig zurück in mein Baumhaus und versteckte mich wieder hinter dem Stamm des Apfelbaums. Diesmal allerdings nicht, um jemandem aufzulauern, sondern vielmehr, um mich zu verkriechen, weil alles so schrecklich peinlich war.

Was denn nun so schrecklich peinlich war, fragst du? Nein, es war nicht die Tatsache, dass der Bandit einfach weitergefahren war und nicht auf das Schießen und Rufen eines echten Sheriffs mit einem echten Sheriffstern gehört hatte. Nein, das war es ja gar nicht, obwohl das natürlich auch ein bisschen peinlich gewesen wäre, das gebe ich zu. Es war tatsächlich noch viel schlimmer. Es war nämlich das, was ich sah, als er kurz seinen Kopf zu mir drehte und ich unter das Tuch blicken konnte, mit dem sein Gesicht maskiert war.

Lass es mich so anfangen, und es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden, also, erst einmal, war der Bandit gar kein „Er“, er war eine „Sie“. Das hatte ich deutlich erkennen können. Und das Taschentuch, das der Bandit sich vor das Gesicht gebunden hatte, wie es alle Banditen machen, war auch gar kein Taschentuch. Es war ein Kopftuch, nämlich so ein Kopftuch, wie es damals fast alle alten Frauen trugen, egal ob es nun ein warmer Sommertag oder eisiger Winter war. Sie hatten immer ihre Kopftücher auf, zu denen sie so komisch gemusterte Kleider trugen, die wie Geschirrhandtücher aussahen, braune Strumpfhosen und weiße Latschen. Ich glaube, ab einem bestimmten Alter musste man sich entweder so anziehen oder alle alten Frauen hatten einfach den gleichen eigenen Geschmack. Hosen trugen alte Frauen jedenfalls nie.

Also kurzum, ich will nicht länger um den heißen Brei herumreden, mein vermeintlicher Bandit war gar keiner, sondern nur eine alte Frau mit Kopftuch auf einem Fahrrad. Sie fuhr so weit vornübergebeugt, als müsse sie sich gegen einen starken Wind anstemmen, obwohl es an dem Tag ganz und gar windstill war. Deshalb hatte es so ausgesehen, als habe sie das Tuch vor dem Gesicht und deshalb hatte ich sie fälschlicher Weise für einen Banditen gehalten und losgeschossen. Was diesen Irrtum aber noch peinlicher machte, als er ohnehin schon war, ist, dass ich die alte Frau auch noch kannte und sie mich umgekehrt natürlich auch. Mindestens einmal in der Woche kam sie zu uns nach Hause, mit ihrem Fahrrad und ihrem Kopftuch. Ich hätte sie also eigentlich sofort erkennen müssen, auch aus großer Entfernung. Aber ich war wohl so auf die Banditen konzentriert gewesen, dass ich wirklich niemand anderes zu sehen erwartet hatte, als eben einen echten Banditen. Fast hätte ich in diesem Moment auch so etwas wie „Ohgoddogod“ rufen mögen.

Was sollte die Frau nun von mir denken, wenn ich da am Gartenzaun stand und einfach um mich schoss? Was würde sie meiner Mutter erzählen, wenn sie das nächste Mal zu uns kam? Und was würde die dann dazu sagen? Das war alles so schrecklich peinlich und nach Ärger sah es obendrein aus. Ich hockte also zerknirscht in meinem Baumhaus, schämte mich und dachte über alle peinlichen Sachen nach, die ich bisher in meinem Leben erlebt hatte. Und das waren nicht wenige, denn mir war andauernd irgendetwas peinlich. Wenn ich etwas nicht wusste, war mir das schon sehr unangenehm und wenn ich etwas nicht oder nicht richtig verstand, wurde es noch schlimmer mit dem Sich-peinlich-Fühlen und dann womöglich noch etwas Dummes zu sagen, was das Allerpeinlichste überhaupt.

Die peinlichste Sache, die mir an diesem Tag oben im Baumhaus einfiel, war damals noch gar nicht lange her. Inzwischen liegt sie schon über 40 Jahre zurück und ich erinnere sie trotzdem noch haargenau. Daran siehst du, wie schrecklich peinlich sie gewesen sein muss. Es war an einem Sonntag. Ich war gerade fünf Jahre alt geworden und natürlich mächtig stolz darauf.  Sonntagmorgens ging mein Vater manchmal in die „Wirtschaft“.  Das war eine kleine Stube in einem Gasthaus, die eigentlich mehr aussah wie das Wohnzimmer einer alten Frau. Sie war voller alter, dunkler Möbel und auf dem großen runden Tisch, der in der Mitte des Raumes stand, lagen eine große weiße Decke und oben drauf noch mehrere kleine Deckchen mit gehäkelten Spitzen.

Ab und zu nahm mein Vater mich mit, wenn er in die Wirtschaft ging.  Er trank dort einen Kaffee und redete mit anderen Männern. Frauen waren dort nie, andere Kinder auch nicht. So spannend war das Ganze also nicht, aber zumindest bekam ich immer die beiden Zuckerstückchen von meinem Vater, die es zu dem Kaffee dazu gab. Er mochte keinen Zucker im Kaffee, was eigentlich merkwürdig ist. Du weißt ja, dass er Käsebrot mit Marmelade mochte und immer ganz viel Zucker auf seinen Grünkohl streute. Seinen Kaffee aber, den mochte er komischerweise aber am liebsten so bitter wie Kaffee nun mal schmeckt. Warum auch immer das so war, ich freute mich selbstverständlich darüber, etwas Süßes zu bekommen.

Dann saß ich da auf einem großen, alten Stuhl am Tisch mit den vielen Spitzendeckchen, lutschte an den Zuckerwürfeln, guckte mich in der kleinen Stube um und hörte manchmal ein bisschen zu, was die Männer so redeten. Meistens sprachen sie dabei Plattdeutsch. Das konnte ich zwar recht gut verstehen, aber nicht sehr gut sprechen, denn meine Eltern redeten immer nur mit anderen Leuten Platt. Bei uns zu Hause wurde nur Hochdeutsch gesprochen. An diesem einen Tag, an dem es so peinlich wurde,  kam das Gespräch zwischen einem Mann und meinem Vater plötzlich auf mich. „Wo oolt is de lütte?“, fragte der Mann in meine Richtung nickend. Das allein war schon unangenehm für mich. Ich fühlte mich immer komisch, wenn Erwachsene so taten, als seist du gar nicht anwesend oder könntest nicht selber sprechen. Das war ein bisschen so, als würdest du einen Hundebesitzer auf der Straße fragen: „Na, wie heißt denn der Kleine?“ Da ist das ja auch richtig so. Hunde können schließlich nicht verstehen, was du da fragst und selber antworten natürlich auch nicht. Ich hätte das aber sehr wohl gekonnt. Ich war ja kein Hund.

Dieser Mann hatte meinen Vater gefragt, wie alt ich denn sei. Das hatte ich trotz des Plattdeutschs sehr wohl verstanden und wie alt ich war, wusste ich auch haargenau. „Fief.“, antwortete mein Vater. Ja, und das Wort hab ich dann falsch verstanden.  Für mich klang es ganz eindeutig nach „vier“, was ja ganz falsch gewesen wäre, wo ich doch gerade Geburtstag gehabt hatte und nun viel älter war als bloß vier Jahre. „Papa!“, rief ich empört, „Ich bin doch nicht mehr vier, ich bin fünf!“ Beide Männer schauten mich an und begannen laut zu lachen. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sagte mein Vater nur kurz: „Das hab ich doch gesagt.“ Dann wandten sich beide wieder ihrem Gespräch zu und beachteten mich nicht weiter. Ich aber wäre am liebsten im Erdboden versunken, hätte angefangen zu weinen oder wäre auf der Stelle nach draußen gerannt. Stattdessen blieb ich aber einfach still sitzen und tat und sagte nichts mehr.

Ich kam mir so unendlich klein und dumm vor und vorlaut noch dazu, denn ich war ja nicht nur dumm gewesen, ich hatte auch noch etwas richtig Dummes gesagt und damit verraten, wie dumm ich war. Und ausgelacht hatten sie mich natürlich auch noch dafür! Das war das schlimmste peinliche Gefühl, das ich bis dahin in meinem ganzen Leben gehabt hatte.

Daran und an andere solch schreckliche Momente dachte ich in meinem Baumhaus und fühlte mich immer weniger, wie ein mutiger Sheriff und immer mehr, wie ein peinliches, dummes, kleines Mädchen. Ich blickte auf meine Pistole, ich betrachtete meinen Sheriffstern, der an meiner Sheriffhose silbrig glänzte. War nun alles aus? Sollte ich lieber in der Sandkiste Törtchen backen oder mir eine kleine Hütte bauen und so tun, als sei ich der Hund, der darin wohnt?  Nein, so konnte das doch alles nicht ausgehen. Wenn nur dieses peinliche Gefühl nicht wäre! Irgendwie musste ich das doch loswerden können.

Ich war ja vielleicht dumm, aber trotz allem war ich doch immer noch ein Sheriff! Und ein Sheriff kann ja nicht einfach aufgeben, nur weil etwas mal nicht klappt oder sogar peinlich ist. So richtig konnte ich mein Selbstbewusstsein zwar noch nicht wiederfinden, aber wenigstens einen Versuch wollte ich doch noch wagen. Zumindest ein Bandit musste doch zu schnappen sein. Die Gefängniszelle im alten Pumpsklo war noch frei und wenigstens hatte ich ja nicht irrtümlich die alte Frau darin eingesperrt. Das war ja immerhin etwas Gutes.  Dann wäre schließlich alles noch viel peinlicher geworden.  Ich atmete einmal tief durch, griff nach meiner Pistole und machte mich bereit. Diesmal würde ich alles richtig machen, nahm ich mir vor.

Das war heute wohl für mich der schwierigste Teil beim Erzählen der ganzen Geschichte. Wahrscheinlich, weil das Sich-peinlich-Fühlen  eine schlimme Sache ist, gegen die du so wenig tun kannst. Das kann noch viel schlimmer sein, als zum Beispiel Angst. Wenn du dich fürchtest, kannst du ja weglaufen, dich verstecken oder jemanden bitten, dich zu beschützen. Das peinliche Gefühl aber, vor dem kann man nicht fliehen oder sich davor verstecken, nicht einmal in einem Baumhaus, das über einen Meter hoch ist. Und beschützen kann dich auch niemand davor. Damit bist du ganz auf dich allein gestellt und kannst nur versuchen, dich davon nicht unterkriegen zu lassen. Wie ich das damals versucht habe, erzähle ich dir beim nächsten Mal.

Dein Blattwerk

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Kein Mädchen, egal ob groß oder klein, sollte sich dumm und wertlos fühlen. Diese Geschichten über mutige, kluge, außergewöhnlichen Frauen machen Mut, sich etwas zuzutrauen und nicht aufzuhören, an seine Träume zu glauben. 

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Karin

    Eine wunderbare erzählte Geschichte vom Sheriff Teil 5

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