Sheriff für einen Tag Teil 2
Wie ich meinen ersten Arbeitstag begann

Titelbild Sheriff für einen Tag Teil 2

Stimmt, ich wollte dir ja davon erzählen, wie ich mal Sheriff für einen Tag war. Wo war ich denn stehengeblieben? Genau, ich hatte von diesem vielleicht echten Banditen mit dem Mikrofon meinen silbernen Sheriffstern bekommen. Eine große Ehre! Deshalb wollte ich ja auch gleich am nächsten Tag mit dem Sheriff-Sein anfangen und Jagd auf alle richtigen Banditen machen. Genau das tat ich dann natürlich auch. Und das war so:

Erstmal wachte ich natürlich auf und zwar richtig früh am Morgen. Das war auch gut so, denn es gab schließlich eine Menge für mich zu tun an meinem ersten Tag als Sheriff. Zunächst musste ich natürlich frühstücken. Das erledigte ich schnell in meinem rot-weiß geblümten Nachthemd. Du meinst,  Sheriffs tragen keine Nachthemden? Da sei dir lieber nicht zu sicher. Ein Sheriff im Nachthemd war mir zwar noch nie begegnet, aber in den alten Western, die manchmal im Vorabendprogramm liefen, hatte ich auf jeden Fall schon Männer in weißen Nachthemden gesehen. Also war es durchaus möglich, dass auch Sheriffs Nachthemden trugen. Vielleicht keine mit kleinen roten Blümchen darauf, aber ich hatte nun mal kein anderes. Und für die Blümchen konnte ich nichts, denn ich hatte es, wie fast alle meine Sachen, von meiner Cousine geerbt. Ihr passte es nicht mehr, denn sie war schon größer und ging auch schon zur Schule. Sie konnte auch Ballett tanzen, mit so einem richtigen Ballerinarock und solchen weißen Schuhen, mit denen man besser auf den Zehenspitzen stehen kann. Zu einer Ballerina passt so ein geblümtes Nachthemd doch ziemlich gut, aber auch für einen Sheriff schien es mir ganz in Ordnung zu sein.

Zur Arbeit musste ein Sheriff natürlich etwas anderes anziehen, schon klar. Darum kümmerte ich mich nach dem Frühstück. Die Sonne schien und es war ein richtig warmer Sommermorgen. Als ich noch klein war, war immer Sommer und immer schönes Wetter, es sei denn, es lag mal Schnee. Vielleicht war es auch nicht wirklich so und ich habe die Tage mit schlechtem Wetter inzwischen einfach vergessen. Das ist gut möglich, schließlich ist es schon lange, lange her, dass ich klein war. Aber an meinem ersten Tag als Sheriff war es Sommer und das Wetter war schön, da bin ich vollkommen sicher. Also war eine kurze Hose auf jeden Fall die richtige Wahl. Davon hatte ich zwei. Die hatte ich übrigens auch von meiner Cousine geerbt. Eine davon mochte ich sehr gerne, die andere nicht so sehr. Beides waren Jeanshosen. Die, die ich gerne mochte, hieß einfach „kurze Hose“, sie war blau und richtig kurz. Die andere hatte zwei Namen. Meine Tante nannte sie aus einem Grund, den ich nicht kenne, „Knickerbocker“ und meine Mutter sagte „Kniebundhose“ zu ihr. Wahrscheinlich,  weil sie bis zum Knie ging und unten an jedem Hosenbein ein lilafarbenes Bündchen mit einem Band darin hatte, mit dem man sie enger machen konnte, so man das denn wollte. Wie auch immer sie in Wirklichkeit hieß, diese Hose zog ich eigentlich nur an, wenn meine kurze Hose gerade in der Wäsche war. Das war sie an meinen ersten Tag als Sheriff zum Glück nicht, also war die Entscheidung leicht.

Während ich nach dem passenden T-Shirt suchte, überlegte ich noch, ob ich im Fernsehen schon mal einen Sheriff mit kurzer Hose gesehen hatte. So angestrengt ich auch nachdachte, ich erinnerte mich an keine einzige kurze Hose in einem Western. Vielleicht war es ja damals im wilden Westen nicht so warm wie bei uns an der Nordsee? Das war sicher die richtige Erklärung.  An Regenwetter in einem der alten Filme konnte ich mich zwar nicht erinnern, aber es musste kühl gewesen sein, sonst hätten ja nicht alle immer lange Hosen angehabt. Für diese These sprach auch, dass die meisten Leute in den Western Stiefel trugen. Stiefel hatte ich nur im Winter an, also an den wenigen Tagen, an denen gerade nicht Sommer war und Schnee lag. Meine Stiefel waren, wie all meine Schuhe, übrigens nicht von meiner Cousine, sondern aus dem Schuhgeschäft. Meine Mutter war nämlich der Meinung, dass mit dem „Erben“ wäre bei Schuhen nicht so gut, die sollten lieber neu sein. Mir war das ganz recht, denn in unserem örtlichen Schuhgeschäft gab es ein grünes Holzkarussell, mit dem ich fahren konnte, während meine Mutter mit der Verkäuferin über „Fußbetten“ und andere langweilige Sachen redete. Aber solche richtigen Ballerinaschuhe hätte ich trotzdem gern mal von meiner Cousine geerbt. Das ist allerdings eine ganz andere Geschichte und hat gar nichts mit dem Sheriffsein zu tun. Zurück zum Thema.

Im wilden Westen musste es also definitiv kalt gewesen sein, daher die langen Hosen und die Stiefel. Hier war es warm und somit war an der kurzen Hose als Sheriffbekleidung nicht das Geringste auszusetzen. Und Stiefel brauchte ich auch gar keine anzuziehen. Vielmehr brauchte ich gar keine Schuhe. Im Sommer lief ich nämlich immer barfuß, zumindest zu Hause in Ammerswurth. Wenn ich allerdings im Sommer zu Kindergeburtstagen eingeladen war, musste ich immer meine roten Sandalen anziehen und dazu die weißen Söckchen. Das fand ich ganz schrecklich. Warum, fragst du?

Ist doch klar: in Sandalen konnte man gar nicht gut rennen, was auf Kindergeburtstagen aber sehr wichtig war, weil die meisten Spiele, die wir damals spielten, mit Rennen zu tun hatten. „Tick“, „Halli-Hallo“, „A-Zerlatschen“, „Fischer-Fischer-wie-tief-ist-das-Wasser“ und noch ganz viele andere Spiele – alle mit Rennen. Und die meisten Jungs konnten sowieso schon viel schneller rennen als ich, da waren die Sandalen, die mich noch langsamer machten, doppelt blöd. Allerdings muss ich fairerweise zugeben, dass da manchmal auch ein paar Jungs Sandalen mit Söckchen anhatten. Wahrscheinlich hatten ihre Mütter genau wie meine eine völlig falsche Vorstellung davon, welche Schuhe am besten für einen Kindergeburtstag geeignet waren. Und das mit den Söckchen erst! Die kratzten, weil sie oben noch so einen Rand mit Spitze hatten und wenn man dann losrannte, rutschten sie sofort runter bis über die halbe Hacke  und verkrumpelten in der Sandale. Dann konntest du erst mal stehen bleiben, um sie wieder richtig anzuziehen. Und schon warst du getickt, gefangen oder abgeworfen. Da half es auch nichts, vorher „Klippo“ zu rufen, was in den meisten Spielen bedeutete, dass man gerade mal für einen Moment etwas anderes Wichtiges zu erledigen hatte und kurz aussetzen musste. Nase putzen, zum Beispiel oder einen besonderen Stein aufsammeln oder eben Socken hochziehen. Ich denke, ich fand Sandalen mit Söckchen aus triftigem Grund schrecklich und ehrlich gesagt, finde ich das heute immer noch, obwohl ich längst nicht mehr so viel renne wie früher.

Als Sheriff auf der Jagd nach Banditen würde ich eine Menge rennen müssen, das war mir natürlich klar. Und ein Sheriff mit roten Sandalen und weißen Spitzsöckchen, der mit seiner großen Pistole schießt? Nein, das passte nun wirklich nicht. Also blieb ich barfuß wie ich war und schnappte mir mein blaues Lieblings-T-Shirt. Das hatte ich im Sommer eigentlich immer an, es sei denn, es war gerade in der Wäsche. Eigentlich hatte ich im Sommer jeden Tag das gleiche an – die kurze Hose und das blaue T-Shirt. Ich sah also aus wie immer, das wurde mir in dem Moment auch klar, als ich mich im Spiegel betrachtete. Ich sah ja gar nicht aus wie ein Sheriff, sondern einfach wie Sünni an jedem Sommertag, die gleich nach draußen gehen will, um im Baumhaus zu spielen oder Schätze zu suchen oder mit ihrem kleinen grünen Kinderrad zu fahren.

Apropos, kleines grünes Kinderrad. Vielleicht erinnerst du dich daran, dass ich am Abend zuvor noch darüber nachgedacht hatte, mir für eine eventuelle Verfolgungsjagd mit den Banditen ein Pferd von unserem Nachbar auszuleihen. Diesen Plan hatte ich irgendwann zwischen dem Einschlafen und dem Moment vor dem Spiegel aus zwei Gründen wieder verworfen. Zum einen hatte ich die  wahrscheinlich berechtigte Sorge, dass es sehr lange dauern würde, Onkel Peter Heinrich davon zu überzeugen, mir mal eben so eines seiner Pferde zu überlassen. Für lange Diskussionen hatte ich an meinem ersten Tag als Sheriff nun wahrlich keine Zeit, es war ohnehin noch so viel zu tun. Und zum anderen war mir kein einziger Platz in ganz Ammerswurth eingefallen, an dem ich mich zusammen mit einem Pferd verstecken könnte, um den Banditen aufzulauern. Das Pferd wäre ja viel zu groß gewesen, um mit ihm unter einem Busch zu hocken und nach oben in mein Baumhaus hätte ich wahrscheinlich auch nur schwer bekommen. Jeder Bandit hätte uns doch sofort entdeckt und die Flucht ergriffen.

Mein kleines Kinderrad war da doch viel praktischer. Es war schnell wie ein Pferd, ließ sich aber deutlich besser verstecken.  Mit seiner grünen Farbe würde es in jedem Gebüsch perfekt getarnt sein.  In den Western haben die Sheriffs aber gar keine Fahrräder, meinst du? Nun, das ist wahr und natürlich habe ich damals auch kurz darüber nachgedacht. Du vergisst, aber eine Sache, die ich als Kindergartenkind schon wusste: Ein Sheriff ist doch so was wie ein Polizist! Und Polizisten fahren sehr wohl Fahrrad. Das wusste ich von unserer Nachbarstochter. Die war ein paar Jahre älter als ich und ging schon in die Grundschule in Meldorf. Und dorthin war ein echter Polizist gekommen und hatte mit allen Kindern aus ihrer Klasse eine Fahrradprüfung gemacht. Dabei mussten sie zeigen, dass sie sich mit dem Radfahren auskennen und alle Tricks beherrschen. Zum Beispiel beim Fahren den Lenker mit einer Hand loslassen ohne umzukippen, um anzuzeigen, wohin man abbiegen möchte. Ich fand das damals noch ziemlich schwierig. Weil unsere Nachbarstochter das alles aber schon richtig gut konnte, hat sie die Prüfung bestanden und von dem Polizisten zur Belohnung einen grünen Wimpel aus Stoff bekommen, den sie dann hinten an ihr Fahrrad machen durfte und der richtig toll wehte, wenn sie schnell fuhr. So einen hätte ich auch gerne für mein kleines grünes Rad gehabt, aber ich ging ja noch nicht in die Schule und die Sache mit dem Loslassen des Fahrradlenkers ohne umzukippen musste ich dafür auch noch weiter üben. Nun, jedenfalls war ja wohl klar, dass jemand, der mit anderen eine Fahrradprüfung macht, auch selber Rad fahren können muss. Also fuhren Polizisten Fahrrad, Sheriffs waren so was wie Polizisten und damit war an der Entscheidung für das Rad und gegen das Pferd absolut nichts auszusetzen.

Soweit so gut, aber ich sah immer noch nicht aus wie ein Sheriff. Ich brauchte unbedingt noch einen Cowboyhut. Woher sollte ich den nur nehmen? Ich überlegte angestrengt, aber alles Nachdenken half mir nicht weiter, denn in unserem ganzen, großen Haus gab es einfach keinen. Wir hatten nur einen einzigen Hut. Der war schwarz und gehörte meinem Vater. Er setzte ihn immer nur dann auf, wenn er auch seinen riesigen schwarzen Mantel anzog. Das war nicht gerade oft der Fall, nur dann, wenn er zu einer Beerdigung gehen musste. Sonst hatte er eigentlich immer seine blauen Arbeitssachen an. Ich war mir also ziemlich sicher, dass mein Vater den Hut nicht ausgerechnet an diesem Tag brauchen würde und beschloss, ihn mal aufzuprobieren. Ich holte den Hut von der Garderobe und stellte mich wieder vor den Spiegel. Noch bevor ich ihn überhaupt aufgesetzt hatte, ahnte ich schon, dass er nicht ganz das Richtige sein würde. Er war rund mit einer gewundenen Borte ringsherum und hatte vorne einen kleinen Schirm. Irgendwie sah er mehr aus wie eine Kappe als wie ein Hut für einen Cowboy oder Sheriff. Nach dem Aufsetzen bestätigte sich meine Vermutung – so ging das nicht! Der Hut war mir viel zu groß und rutschte mir vor die Augen sobald ich den Kopf auch nur ein kleines bisschen bewegte. Und mehr nach Sheriff  sah ich damit auch nicht aus, noch am ehesten wie ein Zugschaffner, der einfach einen zu großen Hut auf hat. Nein, der Hut kam zurück an seinen Platz auf der Garderobe. Es half nichts, es musste eben ohne Hut gehen. Vielleicht war der Hut schlussendlich auch gar nicht so wichtig. Bei uns an der Nordsee war es ja warm und nicht bitterkalt wie im wilden Westen. Da würden die meisten Sheriffs hierzulande ohnehin keine Hüte tragen und es könnte sich niemand daran stören, wenn ich ebenfalls keinen aufhatte.

Das wichtigste Utensil fehlte ja sowieso noch. Das, was mich sofort und ohne jeden Zweifel für alle als echten Sheriff erkennbar machen würde – mein silberner Sheriffstern. Der lag noch neben meinem Kopfkissen, blank und glänzend, wie an dem Tag, an dem ich ihn verliehen bekommen hatte. War das wirklich erst gestern gewesen? Seitdem war schon so viel passiert, all diese Planungen und anstrengenden Vorbereitungen! Aber nun war der große Moment gekommen, an dem ich ihn mir zum ersten Mal anstecken würde. Ich entschied nach reiflicher Überlegung, dass die linke vordere Hosentasche ein guter Platz für den Stern wäre. Vorsichtig pikste ich die Nadel durch den festen Stoff meiner kurzen Hose. Das war gar nicht so einfach und ich glaube, die Nadel verbog dabei sogar ein bisschen. Aber ich schaffte es schließlich, den Stern zu befestigen und lief zurück zum Spiegel, um das Ergebnis  zu sehen. Was für eine Veränderung! Ich war schon seit gestern Sheriff, aber nun sah ich endlich auch aus wie einer. Ein echter Sheriff! Nun konnte ich endlich mit der Jagd auf die Banditen beginnen. Nur eine Sache war vorher noch zu erledigen – meine Hose musste einen neuen Namen bekommen, der ihrer neuen Zierde angemessen war. Von diesem Moment an bis zu unserem letzten gemeinsamen Tag trug sie den Sheriffstern und den Namen „Sheriffhose“. Sogar meine Mutter hat sie fortan immer so genannt.

Wie es mit mir und meiner Sheriffhose an jenem Tag weiterging, erzähle ich dir beim nächsten Mal.

Hast du Lust weiter zu lesen? Hier geht es zum nächsten Teil der Sheriff-Geschichte:

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Karin

    Spannend zu lesen, weiter so.

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