Sheriff für einen Tag Teil 6
– Wie ich neuen Mut fasste
Du hast die ersten Teile verpasst? Dann schau doch schnell in unser Schreibstübchen!
Ich weiß, meine Erzählung ist beim letzten Mal ein wenig ins Stocken geraten, weil ich einfach nur in meinem Baumhaus hockte und mit meinem peinlichen Gefühl beschäftigt war, anstatt Banditen zu jagen. Zum Glück konnte ich es aber nach einer Weile fast beiseiteschieben und mich wieder an meine Arbeit als Sheriff machen. Und das war so:
Nachdem ich mich lange genug geschämt hatte, dass ich fast eine alte Frau verhaftet und in das baufällige Plumpsklo gesperrt hätte und auch über alle andere Peinlichkeiten in meinem bisherigen Leben nochmal reiflich nachgedacht hatte, nahm ich schließlich mein letztes bisschen Mut zusammen. Ich wollte noch einen letzten Versuch unternehmen, zumindest einen richtigen Banditen zu schnappen, peinliches Gefühl hin oder her. Ich wusste nicht, wo genau es in mir drin steckte, ob nun in meinem Bauch, in meinem Kopf oder sonst wo. Egal, wo es saß, es hatte da nun gefälligst zu verschwinden. Ich hatte schließlich ein ganzes Dorf zu beschützen und das war wohl schlecht möglich, wenn ich mich nur versteckte und trüben Gedanken nachhing.
Ich warf also einen letzten Blick auf meinen silbernen Sheriffstern an meiner Sheriffhose und auf die Pistole in meiner Hand, die in meinem Schoß lag. Dann hob ich entschlossen meinen gesenkten Kopf, um die Straße wieder ins Visier zu nehmen und nach Banditen Ausschau zu halten. Der Radweg nach Elpersbüttel war menschenleer, weit und breit niemand in Sicht, auch keine Banditen. Eigentlich war ich darüber ganz erleichtert, denn ich wusste nicht genau, ob ich mich schon wieder in der Lage gefühlt hätte, nach meinem peinlichen Misserfolg sofort dem nächsten Banditen gegenüberzutreten.
Sicherheitshalber blickte ich auch noch einmal in Richtung Meldorf, um mich zu vergewissern, dass auch von dort keine Gefahr drohte. Im Grunde erwartete ich nicht, etwas Verdächtiges zu sehen. Doch was war das? Irgendetwas kam eindeutig auf Ammerswurth zu. Für einen Menschen auf einem Fahrrad war es viel zu breit und auch viel zu schnell. Ein Pferd war es ebenfalls nicht. Ein Auto konnte es aber auch nicht sein, dazu war es dann wiederum zu klein und zu langsam und außerdem befand es sich eindeutig auf dem Radweg. Was war es also? Vielleicht ein Bandit auf einem Rasentrecker oder in irgendeinem selbstgebauten Fahrzeug wie zum Beispiel einer Seifenkiste, überlegte ich. Der Rasentrecker erschien mir wahrscheinlicher, allein schon deshalb, weil ich aus der Ferne ein leises Knattern wie von einem alten, kaputten Motor zu vernehmen meinte.
Ich ermahnte mich dennoch, diesmal keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und verharrte erst mal in meinem Versteck hinter dem Stamm des Apfelbaumes, um die Lage weiter zu beobachten. Das war auch gut so, denn es war schlussendlich die absolut richtige Entscheidung. Ansonsten hätte ich wohl ein zweites Mal grundlos um mich geschossen und es wäre schon wieder peinlich für mich geworden. Als das, was da auf mich zukam, nämlich den Ortsrand von Ammerswurth erreicht hatte, konnte ich deutlich erkennen, um was es sich handelte. Wenn ich „Ortsrand“ sage, dann ist damit der Hof neben unserem gemeint, in dem Onkel Werner und Tante Marga wohnten. Das ist genau dort, wo mein Vater und ich damals den Unfall mit dem Rennrad gehabt haben, du erinnerst dich. Ihr Haus war das erste, das man erreichte, wenn man von Meldorf kam. Dann kam unser Haus. Das war dann genaugenommen der andere Ortsrand, nämlich der nach Elpersbüttel. Mehr Häuser direkt an der großen Straße gab es auf unserer Seite nicht. Gegenüber stand nur ein einziger Hof. Der war also zwei Ortsränder gleichzeitig.
Nun, jedenfalls erkannte ich schließlich, was sich dort auf dem Radweg so schnell bewegte. Es war kein Bandit. Es war einer von den ganz großen Jungs. Die großen Jungs waren die, die schon zur Grundschule gingen, aber die ganz großen gingen auf ganz andere Schulen und waren fast schon erwachsen, aber doch noch nicht ganz. Heute würde man wahrscheinlich „Teenager“ oder so etwas zu ihnen sagen, aber das Wort kannte zumindest ich damals nicht. Die ganz großen Jungs hatten fast alle so ein ganz kleines Motorrad, mit dem sie aus den Dörfern zu ihren verschiedenen Schulen fahren konnten. Mopeds sagten sie dazu. Die Mopeds waren nicht so schnell wir ein richtiges, großes Motorrad und deshalb durften sie damit nur auf dem Radweg fahren.
Also waren die Mopeds eigentlich nur halbe Motorräder. Genau aus dem Grund, so dachte ich mir, hatten die ganz großen Jungs beim Fahren auch nur halbe Helme auf. Das waren solche, die fast aussahen wie eine Mütze. Diese Helme hatten keine Scheibe vor den Augen und du konntest die Gesichter der Jungs genau sehen. Und ihre Gesichter sahen immer mächtig stolz aus, wenn sie mit ihren Mopeds durch Ammerswurth fuhren. Wie mein kleines grünes Kinderrad hatten auch diese Mopeds Pedale. Allerdings schienen die nicht wichtig zu sein, zumindest benutzten die ganz großen Jungs sie nie. Sie stellten ihre Füße immer vor sich mitten auf ihr Moped. Die meisten hatten dabei außerdem noch die Knie ein bisschen nach außen gebeugt und die Füße über Kreuz gestellt. Das sah ein bisschen so aus, als ob du dich gleich im Schneidersitz auf dem Boden niederlassen wolltest. Ich fand das ein wenig komisch, aber ich glaube, damals war das einfach lässig genau auf diese Art auf seinem Moped zu sitzen. Du würdest heute wahrscheinlich „cool“ dazu sagen, in meiner Kindheit kannten wir dieses Wort aber auch noch nicht.
Was denn nun an einem Jungen auf einem Moped so „breit“ ausgesehen hat, fragst du? Nur Geduld, eben dazu will ich ja gerade kommen. Morgens, wenn die ganz großen Jungs zu ihren Schulen fuhren, waren sie mit ihren Mopeds auf dem Radweg tatsächlich kaum breiter als ein Fahrrad. Wenn dir welche entgegenkamen, konntest du bequem an ihnen vorbeikommen. Aber mittags, wenn sie aus ihren Schulen in Meldorf zurückkamen, brauchten sie meistens die ganze Breite des Radwegs. Und jetzt war ja schon fast Mittag und das Moped kam aus Meldorf, was die doppelte Breite erklärt. Aus der Schule brachten sich nämlich fast alle der Jungs immer ein Mädchen auf einem Fahrrad mit. Das Mädchen hielt sich dann an der Schulter des Jungen fest und ließ sich von ihm und seinem Moped ziehen. Es brauchte seine Pedale dann ebenfalls nicht und hatte deshalb die Füße genauso über Kreuz auf der Stange seines Fahrrads stehen wie der Junge auf seinem Moped. Bei den Mädchen-Fahrrädern ging das ganz gut, weil die Stangen ja ganz tief unten waren und nicht oben wie zum Beispiel bei dem Rennrad meines Vaters.
Auf die Art konnten dann der Junge und das Mädchen beide so schnell fahren, als hätte jeder von ihnen ein Moped und das ganz ohne sich anzustrengen und feste in die Pedale zu treten. Wie genau das mittags in Meldorf entschieden wurde, welcher Junge welches Mädchen mitnehmen musste, wusste ich leider nicht. Ich ging ja schließlich noch nicht in die Schule und kannte mich damit nicht so genau aus. Das System muss aber gerecht gewesen sein, denn die Jungs und Mädchen sahen immer zufrieden und stolz aus, wenn sie, die ganze Breite des Radwegs einnehmend, nebeneinander nach Hause in ihre Dörfer knatterten. Bis nach Elpersbüttel und sogar noch weiter.
Mädchen hatten damals übrigens selber so gut wie nie Mopeds. Ich persönlich kannte nur ein einziges. Das kam auch jeden Morgen von Elpersbüttel auf dem Weg nach Meldorf durch Ammerswurth und mittags wieder zurück. Es hatte genau wie die Jungs so einen halben Helm, ohne Scheibe vor dem Gesicht. So konnte ich genau erkennen, dass das große Mädchen immer ganz doll geschminkt war. Nicht so wie meine Mutter, wenn sie, was ganz selten der Fall war, abends mit meinem Vater zu einem Fest ging. Dann hatte sie ein bisschen blaue Schminke an den Augen und rote an den Lippen. Das Mädchen hatte aber überall im Gesicht Farbe. Die Lippen waren meistens pink und die Wangen ebenso. Rund um die Augen malte es sich immer bunt an, manchmal mit grün und blau, manchmal auch rosa und lila. Jungs musste dieses Mädchen nach der Schule nie mitnehmen. Jedenfalls habe ich kein einziges Mal gesehen, dass es einen neben sich hergezogen hat. Vielleicht galten die Mitnehmregeln der Schule damals nicht für Mädchen oder aus ihrem Dorf hatten alle Jungs ein eigenes Moped und brauchten keine Mitfahrgelegenheit, um nach der Schule schnell nach Hause zu kommen.
Ich weiß es nicht. Aber an dem Tag, als ich Sheriff war, wusste ich, dass von dem Jungen und dem Mädchen auf dem Radweg keine Gefahr für Ammerswurth ausging und ich somit nicht einzuschreiten brauchte, als sie vorbeifuhren. Ebenso wusste ich, dass die Schule zumindest für einige nun bereits aus war und ich mich beeilen musste, wenn ich vor dem Mittagessen noch einen Banditen fangen wollte. Ob ich das denn wirklich wollte, fragst du? Ja, ich wollte schon. Aber zum einen schien sich entlang der Hauptstraße einfach kein richtiger Bandit zeigen zu wollen und zum anderen war ich mir immer noch etwas unsicher, ob ich mich nach dem peinlichen Vorfall mit der alten Frau einer solchen Auseinandersetzung gewachsen fühlte.
Also überlegte ich, bildete mir ein Urteil und fasste schließlich zwei Entschlüsse. Erst einmal war es wohl deutlich geworden, dass die Banditen die Hauptstraße mieden und sich wahrscheinlich eher von anderer Seite an unser Dorf heranschleichen würden. Zum Beispiel durch das Kornfeld, das ich ja von Anfang an schon als perfektes Banditenversteck im Visier gehabt hatte. Also war es doch das Beste wieder an den Graben zurückzukehren, an dem ich meine Pistole gefunden hatte und von wo aus ich den Acker gut im Blick hatte. Das war der erste Entschluss, den ich damals fasste. Darüber hinaus musste ich noch etwas gegen meine Unsicherheit tun und es schaffen, mich wieder wie ein großer, unerschrockener Sheriff zu fühlen.
Und wie konnte das besser gehen, als mit einem Lied? Genau, ich musste ein Sherifflied singen! Und das richtig laut. So laut, dass es um mich herumklingen würde, so laut, dass es jeder hören könnte, so laut, dass jeder sofort wüsste, hier kommt ein furchtloser Sheriff. Wenn ich das schaffen könnte, dann würden es nicht nur die anderen wissen, sondern ich selber würde es auch wieder fühlen, wie stark und mutig ich war. Ein Sherifflied musste her und das sofort! Laut singen konnte ich zumindest schon mal. Meine Kindergärtnerin, Frau Streck sagte zumindest immer zu meiner Mutter: „Sünje ist meine große Stütze beim Singen.“ Was genau das bedeuten sollte, wusste ich zwar nicht, aber es klang deutlich so, als sei es etwas Gutes. Viele Lieder kannte ich auch.
Meine Mutter sang mir fast jeden Abend am Bett ein Lied vor. Sie konnte wunderschön singen, mit einer tiefen, warmen Stimme und sie kannte alle Lieder mit allen Strophen auswendig. Gedichte konnte sie auch ganz viele aufsagen. Auch solche, die wirklich lang waren, und überlegen, wie es weiterging, musste sie dabei nie. Viele von ihren Liedern kannte ich inzwischen auch schon ziemlich gut. Schließlich hatte ich sie schon etliche Male gehört, seit ich auf der Welt war. Weißt du wieviel Sternlein stehen kannte ich, Guten Abend, gute Nacht ebenso und mein liebstes von all den Abendliedern Der Mond ist aufgegangen natürlich auch. Zu diesem Lied gibt es übrigens auch noch eine Geschichte zu erzählen. Erinnere mich doch beizeiten daran!
All diese schönen Lieder meiner Mutter nützten mir allerdings in dem Moment rein gar nichts, denn in keinem einzigen kam auch nur im Entferntesten so etwas wie ein Sheriff vor. Also überlegte ich, welche Lieder ich denn schon im Kindergarten gelernt hatte. Das waren auch nicht gerade wenige. Aber während ich die Texte in Gedanken durchging, wurde mir bewusst, dass sie eigentlich fast alle von Tieren handelten. Häschen in der Grube, Fuchs, du hast die Gans gestohlen, Alle meine Entchen, Wir Fröschelchen – alles tolle Lieder, aber auch keine Silbe über Sheriffs oder Banditen. Ich war mit meinem Liederrepertoire und damit auch mit meinem Latein schon fast am Ende, als mir der rettende Einfall kam.
Dickel-Dackel-Duckelhund! Da hatte ich doch mein Sherifflied! Nun hör aber auf! Was ein Dackel mit einem Sheriff zu tun hat, fragst du ernsthaft? Ich hab es dir doch inzwischen schon so oft erklärt: Ein Sheriff ist so etwas Ähnliches wie ein Polizist. Und Polizisten haben oft Hunde. Nun, vielleicht nicht grade Dackel, aber in der Not darfst du auch nicht übergenau sein. Ich konnte schließlich auch nicht zu viel Zeit mit der Suche nach dem passenden Lied verschwenden, es war doch schon fast Mittag. Also kletterte ich von meinem Baumhaus herunter und machte mich laut singend auf den Weg zurück zum Graben. Dort an der Teerstraße zum Deich, wo die vielen Pappeln standen, die mein Vater vielleicht selber gepflanzt hatte. Na, du weißt schon.
„Dickel-Dackel-Duckelhund, frisst am Tag zwei Zentner und wiegt sechs Pfund!“, sang ich auf dem Weg laut und voller Inbrunst. Und es wirkte! Es wirkte genauso, wie ich es mir erhofft hatte. Ich war da, ich war laut und ich hatte keine Angst. Das konnte jeder, egal ob Bandit oder nicht, in ganz Ammerswurth jetzt hören. Allen voran ich selbst. Mit jeder Zeile fühlte ich mich mutiger. Als ich schließlich am Graben angekommen war, wusste ich sofort, welches der richtige Platz war, den Banditen aufzulauern. Ich habe dir ja schon mal erzählt, dass ich unser Dorf wie meine Westentasche kannte. Jede Blume, jeden Stein und auch jeden guten Kletterbaum. Und einer davon stand direkt zwischen den Pappeln am Graben neben der Teerstraße, auf dessen anderer Seite sich das Weizenfeld befand.
Es war wirklich ein richtig guter Kletterbaum und nicht so einer wie der alte Apfelbaum auf der Obstwiese. Der war zwar eigentlich auch ganz gut, aber leider nur in eine Richtung. Nach oben kamst du wirklich leicht, aber leider gar nicht mehr herunter. Dieser Haken an der Sache wurde mir leider erst bewusst, als ich einmal ziemlich hoch in den Apfelbaum geklettert war. Die Aussicht von da oben war hervorragend und es gab einen Ast, auf dem du sogar recht bequem sitzen konntest. Das war mein Glück, denn ich hatte an dem Tag viel Zeit, die Aussicht über Ammerswurth zu genießen. Runterklettern war unmöglich. So angestrengt ich es auch versucht hatte, meine Füße konnten keinen der tieferen Äste erreichen und zum Herunterspringen war es auch viel zu hoch.
Also blieb mit nichts anderes übrig, als geduldig darauf zu warten, dass mich jemand vermissen und sich auf die Suche nach mir machen würde. Und glaub mir, das konnte dauern! Meine Eltern waren daran gewöhnt, dass ich stundenlang außer Sichtweite war und an irgendwelchen versteckten Plätzen spielte. So saß ich also gefangen oben im Apfelbaum und wartete und wartete. Irgendwann während des langen Wartens schwor ich mir, nie wieder zu versuchen, in diesem Baum bis ganz nach oben zu klettern. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam meine Mutter dann schließlich doch noch. Zum Glück, denn langsam wurde auch der vormals bequeme Ast ziemlich ungemütlich. Sie holte eine Leiter aus dem Stall und befreite mich aus meiner misslichen Lage. Das war übrigens das einzige Mal in meinem Leben, dass ich sah, wie meine Mutter auf einen Baum kletterte. Zumindest soweit ich mich erinnere. Also war das eigentlich eine richtig spektakuläre Sache. In dem Moment war ich aber einfach nur froh, endlich von diesem Apfelbaum herunterzukommen. Deshalb habe ich ihre tolle Kletterleistung damals überhaupt nicht ausreichend gewürdigt. Das sollte ich unbedingt noch nachholen.
Aber zurück zum Graben! Der Kletterbaum dort zwischen den Pappeln war ganz anders als der Apfelbaum. Bei dem konnte gar nichts schief gehen. Weder beim Hoch- noch beim Runterklettern. Es handelte sich um eine alte Weide, deren dicken Stamm jemand schon vor langer Zeit abgesägt hatte. Inzwischen waren hinter dem Stumpf, der wohl einen Meter hoch war, mehrere neue Weidenstämme gewachsen. Ich kletterte auf den dicken Stumpf und machte es mir bequem. Und es war wirklich gemütlich da oben. Du konntest dich mit dem Rücken an die Weidenstämme hinter dir anlehnen. Ich fühlte mich immer fast wie ein König auf seinem Thron, wenn ich dort saß und die ganze Teerstraße mit den spitzen Steinen überschaute.
An dem Tag, an dem ich Sheriff war, drehte ich mich aber in die andere Richtung und lugte durch die eng zusammenstehenden Weidenstämme. So konnte ich über den Graben hinweg auf das Kornfeld blicken, ohne dass mich ein Bandit hätte sehen können, der sich durch das hohe Getreide anzuschleichen versuchte. Mit dem Singen hatte ich natürlich inzwischen aufgehört. Zum einen hatte das Lied ja schon geholfen, ich fühlte mich wieder mutig genug und zum anderen wollte ich mich schließlich nicht verraten. Ich suchte das ganze große Feld mit den Augen ab, aber keine Ähre bewegte sich. Es war ein ganz windstiller Tag, wie du ja weißt, und eine verdächtige Bewegung oder ein Rascheln im Weizen wären mir natürlich sofort aufgefallen. Aber das Feld lag still und unbewegt in der Mittagssonne. Kein Bandit weit und breit. Was ist schon ein Sheriff, wenn keine Banditen kommen? Das fragte ich mich in dem Moment und dachte an die leere Gefängniszelle im alten Plumpsklo, die auf ihren Einsatz wartete, und an meine tolle Pistole, die ich erst einmal hatte benutzen können. Und das war dann ja zu allem Überfluss auch noch falscher Alarm gewesen. Ach, das Sheriff-Sein war schon nicht einfach. Für diesen Beruf brauchte man wirklich eine Menge Geduld.
So saß ich also da in der Weide und wartete und wartete. Das war fast ein bisschen so langweilig, wie das Warten auf meine Mutter oben auf dem alten Apfelbaum. Doch plötzlich fuhr ich wie vom Donner gerührt zusammen! Hufgetrappel! Ein Pferd! Nein, definitiv mehrere Pferde! Ich hörte es ganz deutlich. Mehrere Pferde näherten sich mir vom Deich kommend auf der Teerstraße. Aha! Die Banditen waren also im Anmarsch. Noch konnte ich sie nicht sehen, weil die Straße hinter dem Hof unserer Nachbarn eine kleine Biegung machte, aber es war eindeutig. Gleich eine ganze Banditenbande ritt auf mich zu. Genauso wie in den alten Western kamen sie zu Pferd und nicht etwa auf Fahrrädern oder Rasentreckern, wie ich es vorher schon mal fälschlich vermutet hatte. Gleich würden sie ahnungslos um die Kurve kommen. Mit mir, dem Sheriff von Ammerswurth, rechneten sie garantiert nicht. Ich hielt meine Pistole fest in der Hand, ging in die Hocke und machte mich bereit zum Absprung von der Weide auf die Teerstraße. Die sollten was erleben! Das würde der Schrecken ihres Lebens werden, wenn ich plötzlich wie aus dem Nichts direkt vor ihnen auf der Straße landete und laut mit meiner Pistole in die Luft schoss.
Sie würden augenblicklich vor Schreck erstarren und sich widerstandlos ergeben. Vielleicht würden aber auch ihre Pferde scheuen, laut wiehern, sich hoch aufbäumen und die ganze Bande abwerfen. Das wäre ja sogar noch besser! Ich musst fast laut loslachen, als ich mir vorstellte, was für verdatterte Gesichter die Banditen machen würden, wenn sie plötzlich alle mit dem Po auf den spitzen Steinen landen und einen echten Sheriff vor sich sehen würden. Oder etwas ganz anderes würde passieren. Ach, Sheriff-Sein war doch ganz schön spannend! Egal, was nun kam, es würde richtig aufregend werden, das war ganz klar.
Wurde es dann auch, bloß ganz anders, als ich es mir ausmalte, während ich zum Sprung ansetzte. Und wie aufregend! Noch viel aufregender, als mit lieb war. Zum Glück wusste ich das in dem Moment noch nicht und konnte noch einen kurzen Augenblick die Vorfreude auf das große Abendteuer genießen, bevor alles richtig gruselig wurde. Diese kurze Vorfreude, die ich damals hatte, teile ich gerne mit dir, bevor ich dir dann beim nächsten Mal erzähle, was dann wirklich geschah, als die Bande zu Pferde um die Ecke kam.
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Wenn dir die kleine Sheriff-Geschichte gefällt, wirst du dieses Buch vielleicht lieben. Der 12 jährige T.S. Spivet, der nicht nur ein Kind sondern auch ein genialer Kartograph ist, nimmt dich mit zu einem großen Abenteuer. Lass dich durch diese Erzählung und die zahlreichen Illustrationen von T.S.s Faszination für die Karten und Diagramme anstecken, in denen er sein Erleben der Welt festhält.
Hast du Lust weiter zu lesen? Hier geht es zum nächsten Teil der Sheriff-Geschichte:
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