Sheriff für einen Tag Teil 8 – Wie es nach der Banditenjagd weitergehen sollte
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Da bist du ja wieder! Was hat dich seit dem letzten Mal beschäftigt? Du fragst dich, ob es mir nicht peinlich gewesen ist, dass ich vor den Mädchen mit den Ponys geflohen bin und mich versteckt habe? Oh, nein, kein bisschen. Sicher, ich habe dir ja erzählt, dass mir andauernd irgendetwas peinlich gewesen ist, aber das auf gar keinen Fall. Angesichts einer solchen Übermacht von Feinden, die größer und viel stärker sind als du, ist Fliehen nun wirklich das Klügste, das du tun kannst.
Das war schon richtig so, genau wie die Entscheidung, die Banditenjagd aufzugeben, nachdem sie so gefährlich geworden war. Auch der beste und mutigste Sheriff hätte sich nicht wissentlich in eine solche Gefahr gebracht, zumindest nicht allein. Und einen Hilfssheriff, der mich hätte unterstützen können, hatte ich damals ja nicht.
Also war klar, dass ich mir für die zweite Hälfte meines ersten Arbeitstages als Sheriff etwas anderes überlegen musste. Ich brauchte eine neue, sinnvolle Aufgabe für mich, meinen Sheriffstern und meine Sheriffhose. Nein, nicht mehr für meine Pistole, die hatte ich ja bei der gruseligen Begegnung mit der Ponybande verloren, wie du sicher noch weißt.
Beim Mittagessen überlegte ich also angestrengt, was ich mir für den Nachmittag vornehmen könnte. Was es zu essen gab, fragst du? Du, das weiß ich beim besten Willen nicht. Ich war so beschäftigt mit meiner Grübelei, dass ich wahrscheinlich überhaupt nicht darauf geachtet habe. Deshalb habe ich es mir auch nicht gemerkt. Aber gewiss war es etwas sehr Leckeres, denn meine Mutter hat wirklich jeden Tag ein wunderbares Mittagsessen für uns alle gekocht, ganz oft mit frischem Gemüse aus dem Garten. Da es ja gerade Sommer war, war bestimmt an diesem Tag auch etwas Selbstgeerntetes dabei, könnte ich mir vorstellen.
Aber egal, das ist ja auch grad nicht ganz so wichtig, obwohl es über meine liebsten und allerliebsten Gerichte, die meine Mutter kochte, viel zu erzählen gäbe. Das Thema holen wir vielleicht bei Gelegenheit mal nach. Ich aß also schweigend mein bestimmt leckeres Mittagsessen und dachte nach. Das Schweigen machte mir an jenem Tag ausnahmsweise auch gar nichts aus. Sonst fand ich das immer so richtig blöd, beim Essen ruhig zu sein. Ich hatte doch immer so viel zu berichten nach einem langen, aufregenden Vormittag.
Mein Vater mochte es nicht, wenn ich am Tisch von meinen Abenteuern und Erlebnissen erzählte. „Schnöder nicht so viel!“, sagte er meistens. Manchmal sagte er auch: „Rappel nicht so viel!“ Das waren zwar unterschiedliche Sätze, aber sie bedeuteten bedeutete beide das Gleiche, nämlich, dass ich ruhig sein sollte. Oft war das ganz schön schwierig, sich daran zu halten. Vielleicht kennst du das Gefühl ja, das du hast, wenn du vor lauter Neuigkeiten, die aus dir herauswollen, fast platzt und dann will dir keiner zuhören. Nein, das fühlt sich nicht gut an.
An dem Tag war Schweigen aber absolut in Ordnung. Über die Mädchen mit den Ponys wollte ich sowieso nicht sprechen und außerdem hatte ich ja genug zu tun mit dem Nachdenken. Was macht ein Sheriff denn noch, außer Banditen zu jagen? Vielleicht suchte er ja auch mal nach gestohlenen Gegenständen? Das war gut möglich, aber bei uns in Ammerswurth wurde damals nie etwas gestohlen. Zumindest kannte ich niemanden, der irgendetwas vermisste. Es sei denn, er hatte es vielleicht verlegt oder verloren, aber Diebe und Einbrecher waren daran jedenfalls nicht schuld.
Eine verlegte Brille zu suchen, konnte ja nun nicht Aufgabe des Sheriffs sein. Der würde sich doch eher um geraubtes Gold oder gestohlene Diamanten kümmern. Ich weiß noch nicht einmal, ob in Ammerswurth überhaupt jemand Gold und Diamanten besaß. Wenn, dann hatten die Bewohner ihre Schätze gut versteckt, denn ich habe sie nie gesehen. Also würde sie wohl auch kein Dieb jemals finden und es gab keine Arbeit für mich als Sheriff. So kam ich nicht weiter.
Was machten denn die Sheriffs in den alten Western sonst noch, wenn sie keine Banditen jagten? Manchmal ritten sie einfach durch ihre kleine Stadt, die immer nur aus einer Straße bestand, und grüßten die Menschen mit erhobener Hand. Das war aber auch nichts, was ich hätte tun können. Dass unser Nachbar mir eins seiner Pferde leihen würde, hatte ich ja schon am frühen Morgen als äußerst unwahrscheinlich bewertet. Nun, ich hätte mich stattdessen ja auch mit meinem kleinen grünen Kinderrad auf den Weg machen können. Das Problem war nur, dass ich den Lenker beim Fahren noch nicht gut loslassen konnte. Da wäre das mit dem Grüßen und Winken ziemlich schwierig für mich geworden. Nein, das war nicht das Richtige.
Manchmal saßen Sheriffs auch breitbeinig in ihren Büros am Schreibtisch und bewachten die gefangenen Banditen in den Gefängniszellen hinter sich. Ein Büro gab es bei und im Haus auch. Natürlich könnte ich mich da an den Schreibtisch setzen, wenn nötig auch breitbeinig, obwohl meine Mutter immer sagte, das würde sich für Mädchen nicht gehören. Aber im Büro meines Vaters gab es keine Gefängniszelle, die war ja draußen im alten Plumpsklo. Und da ich am Morgen leider keinen einzigen Banditen geschnappt hatte, konnte ich natürlich nirgends einen Gefangenen bewachen.
Trotzdem gab es im Büro meines Vaters mindestens zwei richtig interessante Sachen. Die erste war die große Schublade in der Mitte seines Schreibtisches. Sie war in ganz viele kleine Fächer unterteilt, in denen du die tollsten Sachen finden konntest. Da gab es viele alte rostige Schlüssel, die in kein Türschloss im ganzen Haus passten. Nein, wirklich nicht, glaub mir, ich habe sie alle mehrfach ausprobiert. Da waren auch Münzen, die gar nicht aussahen, wie zum Beispiel eins meiner wertvollen Fünfzig-Pfennig-Stücke, kleine Taschenmesser, Teile von alten Kugelschreibern, die du vielleicht wieder zu einem Ganzen zusammenbauen konntest und noch zig andere Sachen, deren Verwendung mir vollkommen unklar war, die aber spannend aussahen.
Die andere interessante Sache war der Papierkorb unter dem Schreibtisch. Der war zu zwei Dingen zu gebrauchen. Wenn du nämlich Briefmarkensammeln spielen wolltest, konntest du dort welche finden. Im Papierkorb lagen meistens ziemlich viele Umschläge, weil mein Vater der einzige bei uns zu Hause war, der jeden Tag eine Menge Post bekam. Leider waren auf den meisten nur Stempel und keine Briefmarken, aber die ein oder andere ließ sich dann doch finden. Die habe ich dann sofort mit der großen Schere vom Schreibtisch ausgeschnitten und in die meine Keksdose gelegt.
Leider war dann das Briefmarkensammeln schon wieder vorbei, weil es sonst nur noch an einem anderen Ort im Haus welche gab und die durfte ich aus irgendeinem Grund nicht sammeln, obwohl es richtig viele waren und es sich dann mal richtig gelohnt hätte, Briefmarkensammeln zu spielen. In einer Schublade im Wohnzimmer lagen nämlich ganz, ganz viele alte Postkarten. Die waren nur schwarz-weiß und nicht besonders hübsch. Es waren Karten, die mein Großvater aus dem Krieg an meine Großmutter geschickt hatte. Die Briefmarken waren eigentlich auch nicht besonders hübsch und sahen fast alle gleich aus.
Trotzdem habe ich einmal angefangen, sie aus den alten Postkarten auszuschneiden, damit meine Briefmarkensammlung endlich auch mal nach einer richtigen, großen Sammlung aussah. Als meine Mutter dazukam und sah, wie ich konzentriert die kleinen Briefmarken aus den Karten ausschnitt, war sie leider gar nicht so begeistert. Ich durfte die, die ich schon gesammelt hatte zwar behalten, musste aber versprechen, in der Schublade nicht mehr zu sammeln, wenn ich nochmal Briefmarkensammler spielen wollte.
Also blieb nur der Papierkorb übrig und Briefmarkensammeln war immer ein kurzes Spiel. Zu einer richtig tollen Sammlung habe ich es nie gebracht und dieses Hobby auch schon in jungen Jahren aufgegeben. Aber es gab ja noch die zweite Sache, für die du den Papierkorb gebrauchen konntest, nämlich um Papier zu suchen. Ja, du hast Recht, das ist irgendwie schon offensichtlich, dass du in einem Papierkorb Papier finden kannst, aber hier geht es um besonderes Papier.
Ich brauchte immer viel Papier zum Malen. Als Kind habe ich nämlich immer sehr gern gemalt. Irgendwie konnte ich als Kind auch viel besser malen als ich es heute kann. Jedenfalls gefielen mir meine Bilder immer ausgesprochen gut und auch die Erwachsenen, denen ich sie schenkte, lobten immer meine Malkünste. Das ist heute nicht mehr so, ich habe das Malen wohl mit den Jahren verlernt.
Ich hatte natürlich auch einen Malblock, aber bei dem waren die Blätter alle gleich groß oder, besser gesagt, gleich klein. Darauf passte wirklich nicht allzu viel. Meistens war so ein Blatt schon voll, wenn ich gerade mal ein Haus, drei Bäume, eine Schaukel und ein Baumhaus gemalt hatte. So begann ich meine Bilder eigentlich immer. Für ein Klettergerüst war dann in den meisten Fällen schon kein Platz mehr, geschweige denn für einen oder mehrere Bauernhöfe mit Feldern und Tieren und einer Teerstraße drum herum.
Da brauchte es schon deutlich größeres Papier und das gab es manchmal im Papierkorb meines Vaters zu finden. Aber dafür musstest du schon ordentlich Glück haben, denn großes Papier war selten und wertvoll. Ab und zu hatte ich dieses Glück und mein Vater hatte eine dieser großen Karten in den Papierkorb gelegt. Die sahen ein bisschen aus wie Landkarten. Sie waren allerdings nicht bunt und es waren auch keine Städte oder Straßen darauf, sondern nur schwarze Linie, Zahlen und irgendwelche Buchstaben.
Irgendetwas hatten sie mit den Baustellen zu tun, auf denen mein Vater und seine „Leute“, wie seine Mitarbeiter hießen, arbeiteten. Wozu sie sie brauchten, wusste ich nicht. Das war mir auch nicht so wichtig, Hauptsache diese Karten waren groß und eine Seite war unbedruckt, so dass ich einen richtigen Bauernhof darauf malen konnte.
Ja, selbstverständlich haben Schubladen und Papierkörbe nichts mit dem Sheriff-Sein zu tun, Briefmarkensammeln und Malen auch nicht. Das wusste ich damals natürlich auch schon, ich wollte dir ja nur kurz erzählen, was du als Kindergartenkind im Büro meines Vaters machen konntest. Später kamen noch ganz andere Sachen dazu, wie zum Beispiel die vielen Stempel und die Schreibmaschine, aber ich komme ja schon zu der eigentlichen Geschichte zurück.
Gut. Was sollte ich nun an meinem ersten Nachmittag als Sheriff machen, außer ohne Banditen in einer Zelle breitbeinig im Büro zu sitzen, was sicher ausgesprochen langweilig wäre? Im Grunde war es ganz einfach. Und hätte ich weniger kompliziert gedacht, wäre es mir auch viel schneller eingefallen. Wie ich ja schon so oft sagte: Ein Sheriff ist doch so was Ähnliches wie ein Polizist und Polizisten sind auch dazu da, Menschen zu helfen. Wenn du irgendetwas brauchst oder vielleicht den Weg nicht kennst, kannst du einen Polizisten fragen. Also musste das ja auch für einen Sheriff gelten, dachte ich mir.
Nach dieser Erkenntnis war der Plan ganz schnell gemacht. Ich würde sofort nach dem Essen eine Tasche mit lauter nützlichen Dingen packen und wieder nach draußen gehen. Wenn dann jemand vorbeikäme, der irgendetwas brauchte, konnte ich es einfach aus meiner Tasche ziehen und dem Menschen wäre sofort geholfen. Den Weg um Ammerswurth konnte ich einem Verirrten selbstverständlich auch erklären oder wie man von dort nach Meldorf oder Elpersbüttel kam. Perfekt! Ich war mir absolut sicher, dass ich auf diese Art am Nachmittag doch noch zu einem erfolgreichen Sheriff werden würde.
Dann waren meine Eltern mit dem Mittagsessen fertig und meine Mutter sagte: „Ich räum jetzt noch schnell die Küche auf und dann wollen wir Mittagsstunde machen. Du gehst dann solange draußen spielen!“ Wenn meine Eltern Mittagsstunde machen wollten, dann brauchten sie dafür immer viel Ruhe, sonst konnten sie wahrscheinlich nicht einschlafen. Da ich ja sowieso am liebsten draußen spielte, war das auch vollkommen in Ordnung.
Aber an dem Tag, hatte ich ja vorher noch etwas Wichtiges im Haus zu tun – nämlich all die nützlichen Sachen zusammenzusuchen, die ich für meine Sherifftasche brauchte. Oh, da musste ich mich nun aber beeilen, denn mir blieb gerade mal so viel Zeit, wie meine Mutter brauchte, um die Küche aufzuräumen und das konnte sie leider ziemlich schnell, weil sie nie wirklich unordentlich war. Das würde jetzt ein bisschen stressig werden, aber zum Glück konnte ich ja schnell rennen und zur Not auch ein paar Treppenstufen herunterspringen, wenn es sein musste.
Also auf in den Nachmittag, Sheriff Sünni, dein Freund und Helfer!
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