Damenhandtasche vs Bomberjacke

Titelbild Bomberjacke

Damenhandtaschen werden ja so mancherlei Eigenarten nachgesagt. Einige behaupten sogar, die in den Tiefen derselben befindlichen unteren Sedimentschichten könnten in gleichem Maße von geologischem wie von archäologischem Interesse sein. Zumindest wird ihnen die Eigenschaft zugeschrieben, von innen deutlich größer zu sein, als sie nach außen hin wirken.

Im Einzelfall kann ich das bestätigen. So kannte ich mal eine gewisse Annette, die mich auf diversen Musiksessions im Kieler Schützenpark, auf dem Steg am kleinen Kiel oder auch am Falkensteiner Strand immer wieder damit überraschte, wie sie aus ihrer kleinen, zerknautschten Ledertasche plötzlich warme Pullover für mehrere Personen, ein paar Pelzstiefel und mehrere Flaschen Korn oder Wodka hervorzaubern konnte.

Einzelfälle wie Annette und ihre Handtasche sind vielleicht der Grund, warum ich selber so gut wie nie eine Handtasche mit mir führe. Oft genug habe ich in früheren Zeiten die Erfahrung gemacht, dass männliche Begleiter davon ausgehen, jedwede Damenhandtasche verfüge über derartige Kapazitäten. „Kannst du das kurz mit einstecken?“, hieß es dann und im Nu schleppte ich ein beträchtliches Zusatzgewicht in Form von Portemonnaies, kiloschweren Schlüsselsammelsurien und anderen Utensilien aller meiner Kumpel mit mir herum.

Zudem hatte ich selbst in den Tiefen meiner Tasche nie etwas von Wert finden können, maximal ein klebriges altes Hustenbonbon, das eine untrennbare Verbindung sowohl mit Taschenfutter als auch mit einem alten Tempotaschentuch unbekannter Herkunft eingegangen war.

Also war für mich irgendwann Schluss damit.

Handtasche nur noch im Notfall und dann von außen so klein erscheinend, dass kein Mann und glaubte er noch sehr sehr an das Mysterium des unerschöpflichen Volumens von Damentaschen mehr glauben konnte, sein gerade auf der Tombola gewonnenes Fondueset könne darin leicht Platz finden.

So lebte ich dann glücklich und unbeschwert von dem Ballast männlicher Besitztümer und lernte irgendwann Maik kennen. Der war toll, jung und stark und besaß noch nicht mehr als er selber bequem tragen konnte. Alles war gut, bis zu dem Tag, als er beschloss, sein Eigentum zu vergrößern und zwar um die Jacke.

Sie verkörperte so ziemlich alles, was ich an Jacken inakzeptabel finde – mal abgesehen davon, dass sie schwarz war, was mir ja durchaus gefällt. Aber ein Bündchen in der Taille, ein abnehmbarer Plüschkragen, der nach spätestens drei Tagen so aussah wie ein altes, bis zur Unkenntlichkeit abgeliebtes und abgeschlecktes, verfilztes Kuscheltier, insgesamt die möchtegern-martialische Anmutung einer Bomberjacke, einfach schrecklich. Ich verlieh meiner Abneigung gegen dieses Kleidungstück hin und wieder Ausdruck, vielleicht war es auch jedes Mal, wenn Maik sie anzog und das tat er oft, nicht ohne zu erwidern, dass sie einfach so unglaublich praktisch sei. Das einzige, was mit daran „praktisch erschien“ war, dass sie nach etwa einem Jahr so schäbig aussah, dass ich hoffte, sie nun endlich der Wiederverwertung zuführen zu dürfen, was ich dann auch begeistert verkündete. Leider nicht ganz mit dem erwünschten Ausgang, denn nur wenige Tage später kam Maik nach Hause und präsentierte mir seine neue Jacke. DIE Jacke, die gleiche, nochmal, fast identisch – warum nur? Na, weil sie doch so praktisch ist! Mir blieb nichts anderes übrig, als mich in mein Schicksal zu fügen und unterließ fortan jegliche Bemerkung über das mir verhasste Kleidungsstück. Vielleicht war diese stillschweigende Duldung der Grund, dass Maik mich nach und nach in die von ihm so hoch geschätzte Nützlichkeit dieser speziellen Jacke einweihte.

Es begann mit Kleinigkeiten, die als solche noch nicht unbedingt bemerkenswert waren. Aber wann immer ich unterwegs in den zwei Taschen meiner eigenen Jacke noch vergeblich nach einem Taschentuch oder Hustenbonbon suchte, Streckte er mir das Gewünschte bereits entgegen.

Kugelschreiber und Zettel? Bitteschön.

Taschenlampe? Ja, hier.

Ein Taschenmesser wäre jetzt praktisch – oh, danke.

Jetzt müsste man ein Tüddelband oder Panzertape zur Hand haben. – Was von beidem willst du?

Das war schon ein bisschen bemerkenswert.

Mist ich hab Tampons vergessen! Sekunde…Also wirklich, warum hast du Tampons in der Jackentasche?

Ich lernte zu akzeptieren, dass sich in den zahlreichen Taschen dieser Jacke alles zu materialisieren schien, was ich gerade brauchte oder mir wünschte. Allerdings versuchte ich auch nie, die magischen Eigenschaften der Jackentaschen durch andere, als wirklich dringende Anfragen überzustrapazieren. So habe ich bisher nicht in Erfahrung gebracht, was bei Wünschen wie Goldmünzen, Diamantring oder Aktienpaket geschehen würde. Aber Maik ist ja schließlich auch kein Fischer und ich bin nicht die Ilsebill.

So lebten wir also weiter glücklich und zufrieden, ich weiterhin unbeschwert von männlichen Besitztümern. Die Jacke ist nun wohl schon an die 15 Jahre alt und inzwischen zur Gartenjacke geworden. Hässlich finde ich sie noch immer – aber wahre Schönheit kommt ja von innen, wie einem stets gesagt wird und ich gebe ja zu, dass sie mir das Leben schon oft erleichtert hat.

Aber gestern Abend war ich dann doch kurz verunsichert…

Nach einem langen Arbeitstag im Garten, bei wunderbarem Sonnenschein, aber dennoch frostigen Temperaturen sagte ich ohne irgendwelche Hintergedanken, meine Lippe sei ganz trocken und ich dürfe nicht zu breit grinsen, sonst würde sie sicher aufreißen. Wortlos griff Maik, der gerade erst ins Haus gekommen war, in eine seiner Jackentaschen und zog einen Gegenstand hervor. Ein Seitenschneider? Ich überlasse es euch, euch auszumalen, welche Assoziationen mich überkamen, als ich versuchte einen Zusammenhang zwischen trockenen Lippen und Seitenschneidern herzustellen. Aber wahrscheinlich habe ich zu viele brutale Filme gesehen, als dass andere als gewalttätige Bilder vor meinem geistigen Auge erscheinen konnten. Sollten sich Güte und Hilfsbereitschaft der Tasche etwa in Boshaftigkeit und Grausamkeit verwandelt haben?

Maik hat wohl dieselben Filme gesehen. Jedenfalls grinste er breit – im Übrigen ohne dass ihm die Lippe aufgeplatzt wäre – legte den Seitenschneider auf den Tisch, kramte kurz in derselben Tasche, aus der er ihn gerade hervorgezogen hatte und reichte mir einen Labello. Alles gut – sie funktioniert noch immer.

Aber ich bin abgeschweift – ach, ihr wisst ja, ich kann mich nie kurz fassen, jedenfalls nicht, wenn eine Tastatur vor mir liegt.

Also, Damenhandtasche oder Bomberjacke?

Ganz klar, Bomberjacke!

Frau braucht selber nichts zu tragen, muss nicht daran denken, Dinge für sämtliche Eventualitäten einzupacken und wer findet schon eine Nagelschere oder Panzertape oder überhaupt irgendetwas Nützliches in einem vollgestopften, unübersichtlichen Sack?

Bomberjacken sparen somit Kraft, Zeit und Nerven und dass sie hässlich sind, ist ja schlussendlich das Problem des Trägers… und der bin ja nicht ich.

Sünje

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